Herzlich willkommen zur ersten digitalen Vorlesung unserer Reihe Rechtsstaatlichkeit,
Grund- und Menschenrechte in der Corona-Krise. Mein Name ist Markus Krajewski, ich bin Professor
für Öffentliches Recht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ich freue mich, dass Sie
heute dabei sind. In dieser Vorlesung möchte ich mich mit den Rechtsgrundlagen des Lockdowns befassen,
das heißt mit den Gesetzen und Verordnungen, auf denen die Ausgangsbeschränkungen, Geschäftsschließungen
und anderen Einschränkungen des öffentlichen Lebens tatsächlich beruhen. Dagegen soll es noch
nicht um die Frage gehen, wie weit der Staat bei diesen Einschränkungen gehen darf und wie
weit er in Grundrechte eingreifen darf. Davon handelt die nächste Vorlesung. Als Antwort auf
die Corona-Pandemie haben alle Bundesländer in Deutschland und auch viele andere Staaten,
wie es so schön heißt, das öffentliche Leben radikal heruntergefahren. Geschäfte, Restaurants
und Kneipen sind geschlossen, ebenso Schulen und Kitas. Kinos, Theater und Konzertsäle haben
Zwangspause. Dazu kommen Ausgangsbeschränkungen im Alltag, Suchsverbote in Krankenhäusern und
Altenheimen, Verbote von Versammlungen und Gottesdiensten. Ziel ist es natürlich,
die Ansteckungsrate mit dem Coronavirus zu verlangsamen, um so das Gesundheitssystem und
Krankenhäuser vor Überforderungen zu schützen und letztlich Leben und Gesundheit der Menschen
zu schützen. Nicht nur viele Bürgerinnen und Bürger, auch Juristinnen und Juristen fragen
sich, darf der Staat das und vor allen Dingen dürfte er es wieder, wenn eine zweite Ansteckungswelle
auf uns zurollt. Dazu müssen wir uns erst einmal genauer fragen, wo ist der Lockdown geregelt. Die
Maßnahmen, Versammlungsverbote, Geschäftsschließungen, Ausgangsbeschränkungen und so weiter beruhen auf
Rechtsverordnungen der Landesregierung, das heißt auf exekutivisch gesetztem Recht. In Bayern ist
das die zweite bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020. Was
ist nun genau in dieser Rechtsverordnung geregelt? Wir finden im Wesentlichen vier Verbote, vier
Regelungsbereiche in dieser Verordnung. In Paragraph 1 ist ein Veranstaltungs- und Versammlungsbogot
geregelt, das auch Gottesdienste und andere Versammlungen erfasst. Paragraph 2 enthält
Betriebsuntersagungen für Freizeiteinrichtungen, die Gastronomie, Hotels, Ladengeschäfte mit
Ausnahme für Geschäfte für den täglichen Bedarf und seit dem 27. April auch sonstige Läden. Paragraph
3 regelt Besuchsverbote für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Behinderteinrichtungen und
Altenheime und Paragraph 4 enthält schließlich allgemeine Ausgangsbeschränkungen und das Verbot,
das Haus außer bei einem triftigen Grund zu verlassen. Aus juristischer Sicht stellen sich
zwei grundsätzliche Fragen. Zum einen gibt es hierfür, also für diese Maßnahmen des Lockdowns,
eine ausreichende Rechtsgrundlage. Und zweitens, wie weit und mit welchen Gründen dürfen Grundrechte
eingeschränkt werden? Mit der ersten Frage möchte ich mich in dieser Vorlesung beschäftigen,
mit der zweiten dann in der nächsten. Was der Staat darf und welche Verfahren er dabei beachten
muss, welche Grenzen gelten, welche Grundsätze und Rechte miteinander abgewogen werden müssen,
das regelt bei uns, wie in jedem Rechtsstaat, die Verfassung, also das Grundgesetz. Das Grundgesetz
enthält drei wichtige Grundsätze, die für unsere Frage relevant sind und die eng miteinander
verknüpft sind. Sie ergeben sich aus den Grundrechten und aus dem Rechtsstaatsprinzip,
das in Artikel 20 Absatz 3 verankert ist. Der erste Grundsatz lautet, Eingriffe in Grundrechte
bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Im freiheitlich-demokratischen Staat des
Grundgesetzes müssen Eingriffe in Freiheiten durch ein Gesetz begründet und damit legitimiert
werden. Wir nennen das auch den Vorbehalt des Gesetzes. Der zweite Grundsatz heißt,
das Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der Eingriffsmöglichkeiten klar bestimmen. Das heißt,
der parlamentarische Gesetzgeber muss der Verwaltung die Richtung und die Grenzen ihres
Verhaltens vorgeben und er darf sich dieser Aufgabe auch nicht entledigen. Parlamente sind gewählt,
damit sie Vorgaben für Regierungen und Verwaltungen formulieren, dass es nicht nur ihr Recht,
das ist auch ihre Pflicht. Der dritte Grundsatz heißt, Maßnahmen der Exekutive, das heißt der
Regierung und der Verwaltung, müssen die Vorgaben des Gesetzes beachten. Wir nennen das auch den
Vorrang des Gesetzes. Exekutivisches Handeln muss durch den demokratischen Gesetzgeber legitimiert
werden. Die Verwaltung hat das Gesetz zu beachten. Damit stellt sich also die erste Frage, gibt es
überhaupt eine gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen, mit denen wir es zu tun haben?
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:16:53 Min
Aufnahmedatum
2020-05-09
Hochgeladen am
2020-05-09 08:56:03
Sprache
de-DE
Vorlesungseinheit zu den Rechtsgrundlagen der staatlichen Beschränkungen des öffentlichen Lebens in der Corona-Krise