14 - Klang, Erinnerung, Leiblichkeit - Musiktherapie in der Palliativmedizin [ID:12602]
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Ganz herzlichen Dank für die Einladung und auch für die einführenden Worte.

Meine allererste Patientin, noch als Musiktherapiestudentin, starb auf eine

Weise, die mir noch heute nahe geht. Ich hatte ein Pilotprojekt Musiktherapie in der Onkologie

begonnen und sie, Marin, eine junge Frau, Mitte 20, Klavierbauerin von Beruf, wurde

mir von einem Oberarzt zugewiesen, weil wir beide voneinander profitieren könnten. Sie,

indem sie eine therapeutische Begleitung in der Finalphase ihrer Krebserkrankung erhielt,

ich, weil ich jemanden hatte, an dem ich meine Erfahrungen sammeln konnte. Eine Beziehung

folglich, die wie andere therapeutische Beziehungen aber auch um eines wechselseitigen

Nutzenswillen geschlossen wurde, bei der jedoch von vornherein feststand, dass sie durch den Tod

der Patientin begrenzt sein würde. Ein Beginn am Ende, ein Neubeginn, nicht obwohl, sondern weil

es ein Ende geben würde. Marin wohnte noch in ihrer eigenen Wohnung. Marin sah schrecklich aus.

Der Körper war mager, das Gesicht aufgedunsen und blau gefärbt. Marin war schwach und Marin

wollte keine Musik hören oder machen. Manchmal redeten wir über Musik. Musik, die für viele als

Trostspenderin angesehen wird, stand bei Marin, der Klavierbauerin, für das Verlorene. Unsere

Bekanntschaft, Therapie mag ich es nicht wirklich nennen, obwohl es doch eine professionelle

Beziehung war, dauerte ein Dreivierteljahr, länger als wir wohl beide am Anfang gedacht hatten. Ich

erinnere einen Zeitraum, der still zu stehen schien, obwohl der körperliche Zerfallsprozess weiter

voranschritt. In diesem Zeitraum entstand eine Nähe, die darin bestand, sich über das einander

nicht näher kommen, einig zu sein. Eine Nähe, die sozusagen eingefroren wurde. Ich überschritt eine

Grenze, als ich in das Zimmer auf der Onkologie-Station trat, in dem Marin ihre letzten

Stunden verbrachte. Entsetzt blickte sie mich an und um mich hinauszuwerfen aus ihrem Leben

fruchtelte sie mit Armen und Beinen, weil sie nicht mehr sprechen konnte. Das Fuchteln ist mir ins

Gedächtnis eingebrannt und Scham. Scham, weil ich nicht gewusst, weil ich nicht geahnt hatte, wie

grauenvoll das Sterben sein kann. Ich entfernte mich schnell und wusste nicht wohin mit mir. Am

nächsten Morgen fiel mir ein Stück Musik ein, das Marin geliebt hatte. Minions aus dem schumanschen

Album für die Jugend. Ich setzte mich ans Klavier, spielte es und nahm Abschied von Marin.

Verehrtes Publikum, ich werde nur sehr wenige Folien präsentieren, aber mit dieser hier beginne

ich. In der Musiktherapie werden Musikspielen oder Musik hören eingesetzt, um mittels Anregungen

von sinnlich-ästhetischer Aktivität körperliche, emotionale und kommunikative Prozesse in Gang zu

setzen, die zur Verbesserung des Befindens beitragen. Dass Marin in ihrer Musiktherapie keine

Musik machte, darüber kann man diskutieren, ob es dann immer noch Musiktherapie ist, aber das

würde jetzt hier vielleicht zu weit gehen. Es ist ja auch erstmal eine ganz allgemeine Beschreibung

und soll gleich noch auf die palliativ-therapeutischen Bedingungen angepasst werden. Zunächst aber ist zu

fragen, warum überhaupt Musik hören oder Musik spielen in der Therapie eingesetzt werden und ich

wähle hier einen anthropologischen Erklärungsansatz zur Funktion von Kunst im menschlichen Leben

allgemein und stelle Ihnen vier Thesen vor. Aus anthropologischer Sicht wird die Entstehung und

Funktion von Kunst mit dem Bewusstwerden der Risiken des Überlebens in Verbindung gebracht.

Der Mensch braucht ein Medium, das ihm die Bewältigung seiner Emotionen ermöglicht.

Sehr vereinfacht und in ein Bild gebracht, man malt die Dämonen an die Wand seiner Höhle, um mit

ihnen leben zu können oder man malt an die Wand die Freude, die sonst sterbliche Freude. Mit dieser

wunderbaren Beschreibung drückt Max Frisch aus, dass der Mensch eines konkreten Außen bedürftig ist,

um seiner selbst gewahr sein zu können. Das trifft auf die elementare ästhetische Praxis des Menschen

in der Frühzeit ebenso zu wie auf die eines Kindes, das mit seiner Rassel spielt. Entsprechend einer

zweiten These ermöglicht das sinnlich wahrgenommene und gestaltete Material Orientierung und es

bereichert das Handeln durch die Entwicklung von Alternativen. Im Fall von Mahren die Alternative

eben auch keine Musik zu machen, sondern nur über Musik zu sprechen. Konkret bedeutet dies,

dass der Mensch, indem er sich mit einem Material befasst, etwas ausprobieren kann, aber auch

Entscheidungen trifft, zum Beispiel ob er etwas beginnen oder beenden möchte, ob er diesen oder

jenen Klang bevorzugt, ob er sich dem Klanggeschehen hingibt oder in einer kritischen Distanz verweilt.

Wenn der Mensch im Zuge dessen eine Übereinstimmung zwischen äußerer Gestalt und einem inneren

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Susanne Metzler Prof. Dr. Susanne Metzler

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:39:26 Min

Aufnahmedatum

2019-12-18

Hochgeladen am

2020-01-03 09:53:00

Sprache

de-DE

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