Ich fühle mich sehr wohl an der FVU. Ich muss auch sagen, dass ich private Bindungen, wenn
ich nach Amberg so zumindest in die Oberpfalz habe, nach Neumarkt. Das heißt, die Mondarten
der Region sind mir durchaus im Ohr. Heute, das ist meine etwas ambitionierte Gliedung,
wir werden mal sehen, ob ich mit allem durchkomme, aber ich kann auch über Dinge springen. Ich fange
mit einem Punkt an, der die Wahrnehmung von Sprachwandel sehr stark prägt. Wenn Sprachwandel
im öffentlichen Diskurs thematisiert wird, dann meistens unter der Rubrik Sprachverfall. Der
Spiegel hat sich 2006 in der Titelgeschichte zu dem Thema geäußert. Das war ungefähr so gegen Ende
meiner Studienzeit und Sie kennen ja den typischen Spiegelalarmismus. Es ist alles ganz schrecklich.
Da ist unter anderem davon die Rede, dass die deutsche Sprache so schlampig gesprochen und
geschrieben wie noch nie zuvor werde. Es ist von der Mode die Rede alles angelsächsisch,
und es wird gar der letzte Absatz, der zumindest mit einem Fragezeichen der drohende Sprachverfall
in den Raum gestellt. Es werden dann einzelne vermeintliche Indizien, Symptome dieses
Sprachverfalls benannt. Also ist die Rede vom Verschwinden des Konjunktivs, der schleichenden
Schwächung von starken Verben, also Bakte statt Bug, der Verlust des Präteritums durch Perfekt,
was mir als Dialektsprecher nicht so wahnsinnig schlimm vorkommt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen
geht. Ich bin eigentlich meine ganze Lebenszeit ganz gut ohne Präteritum ausgekommen und es ist
vom Wachsen der Unsicherheit im Umgang mit Deklination, Konjugation und so weiter PP die
Rede ganz schrecklich. Die Welt hat dann, das ist so das letzte, was ich zu dem Thema bei der Recherche
gefunden habe, den Verein Deutsche Sprache mal wieder zu Wort kommen lassen, der natürlich auch
in dieses Horn des Sprachverfalls bläst und da ist die Rede vom beklagten Verfall der Sprache.
Wenn man das jetzt mal ein bisschen aus der wissenschaftlichen Distanz sich anschaut, dann
kann man sagen, Sprachwandel ist halt eine historische Konstante und Sprachwandel vollzieht
sich eigentlich jeden Tag, wenn Sie so wollen, und zwar schleichend und meistens unbemerkt. Wenn
er dann mal auffällt, das sind dann meistens so Erregungsmomente, ist er oft mit negativen
Einstellungen verbunden, Stichwort Sprachverfall und übrigens ist die Klage über den Sprachverfall
ebenfalls eine historische Konstante. Wir finden zum Beispiel diesbezügliche Äußerungen von Cicero,
also Cicero gilt so als der Vertreter der goldenen Latinität, aber der hat sich schon
darüber aufgeregt, dass seine Zeitgenossen ganz ganz schrecklich Latein schreiben und sprechen.
Ich zitiere hier meine Kollegen vom Leibniz-Institut für deutsche Sprache in Mannheim,
die das pointiert zum Wort gebracht haben. Dass Sprache sich wandelt, ist eine anthropologische
Grundtatsache, dass dieser Wandel tendenziell als Verfall gelesen wird, ist ein gut eingeführter
Topos. Und wenn man sich jetzt mal anschaut, was mit dem vermeintlichen Sprachverfall so
assoziert wird, dann sind das vier Themen, die häufig kommen, schlechte Autografie, also die
Leute schreiben ganz schrecklich, Deppenapostrophen dergleichen, schlechter Stil, also etwas macht
Sinn und ergibt keinen Sinn mehr, schlechte Wörter, natürlich vor allem Anglizismen und
schlechte Grammatik, was auch immer das im Einzelnen ist. Ich habe jetzt nicht Zeit, alle diese Punkte zu
behandeln, ich nehme jetzt mal nur drei bis vier. Dieses Emoji nehme ich so als Hinweis, jetzt kommt
eine wichtige Botschaft, also für Sie zu Hause zum Mitsehen und Mitverfolgen. Wenn wir jetzt mal bei
den Anglizismen bleiben, dann kann man aus historischer Perspektive sagen, dass Entlehnungen
ebenfalls eine historische Konstante sind. Ich habe hier mal ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige
Entlehnungen ins Deutsche aufgeführt. Viele dieser Entlehnungen sind gar nicht mehr als solche
erkennbar, weil sie sich schon langsam in Bezug auf ihre Schreibung, aber auch in Bezug auf die
Lautung ans deutsche Sprachsystem angepasst haben. Sie sind also wohl integriert, wenn Sie zum Beispiel
den Ziegel nehmen, der jetzt die Verwandtschaft zu Tegular nicht mehr so erkennen lässt. Wir haben
ironischerweise eine arabische Entlehnung, nämlich den Alkohol, was so etwas wie Essenz
einfach heißt oder Auszug. Wir haben slawische Entlehnungen. In Österreich zum Beispiel ist die
Jause, also eine Brotzeit, allgemein gebräuchlich, das ist ein slowenisches Lehnwort oder die Grenze.
Das Jüdische, eine Tochtersprache des Deutschen hat das Deutsche und seine Dialekte immer wieder
bereichert und zu guter Letzt den Keks als eine englische Entlehnung, die nicht mehr unbedingt als
solche erkennbar ist. Das heißt, Entlehnungen gab es immer, das ist eine historische Konstante.
Presenters
Prof. Dr. Oliver Schallert
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:39:07 Min
Aufnahmedatum
2025-04-08
Hochgeladen am
2025-04-10 14:46:03
Sprache
de-DE
Sprachwandel ist eine historische Konstante, jedoch vollzieht er sich oft schleichend und unbemerkt. Fällt er auf, ist er häufig mit negativen Einstellungen verbunden („Sprachverfall“). In meinem Vortrag geht es um Mechanismen grammatischen Wandels, bei denen sich erstaunliche Überschneidungen zu evolutionären, aber auch wirtschaftlichen Entwicklungen zeigen: Wie Organismen weisen Sprachen Eigenschaften komplexer adaptiver Systeme auf; insbesondere kann es zur Umfunktionierung von Systempotentialen kommen
(Exaptation). Auch „Zerfallsprozesse“ sind zu beobachten, allerdings sind diese von grundsätzlich anderer Natur und weder Anlass noch Rechtfertigung für sprachpflegerische Bemühungen. Wie in der Realwirtschaft gibt es sprachliche Inflation, indem sich sprachliche Ausdrücke sozusagen abnutzen und ein Verstärkungsbedürfnis nach sich ziehen; Wortbildungsmuster können sehr produktiv sein (z.B. unzählige Substantive auf -ung), aber auch außer Gebrauch geraten und ihre Produkte sozusagen als Konkursmasse hinter sich lassen
(z.B. wenige Substantive auf -nis wie Gleichnis, Zerwürfnis usw.).