Diese Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sakralität im Protestantismus, so lautet der Titel meines
Beitrags und dahinter folgt die etwas flapsige Frage, wo steckt das Heilige nach der Reformation.
Auf den ersten Blick scheint Sakralität im Protestantismus eine Kontradiktion in
See zu sein, ein Thema, das es eigentlich gar nicht gibt. Wissen wir doch oder meinen es zumindest zu
wissen, dass es im Gefolge der Reformation zu einer flächendeckenden Desakralisierung der
traditionellen Heilsmedien gekommen ist, dass die Reformatoren gründlich aufgeräumt haben mit den
und dem Heiligen und alles aus ihren Kirchen eliminiert haben, was ablenkte vom Wort Gottes
als Kern des wahren Glaubens. So pauschal formuliert ist dies jedoch nicht richtig. Zunächst einmal
gilt es klar zu unterscheiden zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Protestantismus,
zwischen Luthertum, Zwinglianern und Calvinisten, die mit sehr unterschiedlicher Vehemenz gegen die
tradierten Formen von Heiligkeitsmanifestationen vorgingen. Zu Bilderstürmen wie etwa für Bern,
belegt ist es keineswegs in allen protestantischen Gebieten gekommen. Auch wissen wir, dass es zu
Umkodierungen kam, dass sich Konzepte von Sakralität und Sakralisierung unter dem Einfluss des
Protestantismus auf andere Gegenstände und in andere Medien verlagerten, als dies bis dahin
üblich war, dass Kräfte, die im vorreformatorischen Katholizismus an heilige Menschen, Orte und Dinge
gebunden waren, im Laufe der Neuzeit auf Entitäten wie die Natur beziehungsweise Landschaft, die
Nation oder auch die Person, das heißt das Individuum, bezogen wurden. Caspar David Friedrichs Bilder
wie der Mönch am Meer aus dem Jahre 1809 oder das etwas jüngere Kreuz im Walde sind eindrückliche
Zeugnisse dieses lang andauernden, in mehreren Stufen sich vollziehenden Umkodierungsprozesses,
übernimmt die Landschaft in diesen Bildern die Rolle eines religiösen Erfahrungsmediums.
Und Hans-Joas hat kürzlich unter dem Titel die Sakralität der Person dargelegt, dass die in der
Aufklärung wurzelnde Geschichte der Menschenrechte mit einem Prozess einherlief, Zitat, in dem jedes
einzelne menschliche Wesen mehr und mehr und in immer stärker motivierender und sensibilisierender
Weise als heilig angesehen wurde, Zitat, Ende. All dies soll und kann nun aber nicht Gegenstand
meines Vortrags sein, da ich weder Theologin noch Soziologin oder Allgemeinhistorikerin bin,
sondern Archäologin und Kunsthistorikerin, im weitesten Sinne also Materialwissenschaftlerin.
Mich interessiert, wie sich die Reformation vor allem in den Jahren unmittelbar nach dem
konfessionellen Umbruch auf den einzelnen Kirchenraum ausgewirkt hat, ob und wie das
mittelalterliche Verständnis von der Kirche als heiligem Raum durch den Protestantismus
eine Umprägung erfahren hat und wie sich diese Umprägung materiell, das heißt in der konkreten
Binnentopographie und Ausstattung des Kirchenraums niedergeschlagen hat. Ich möchte wissen, wie sich
traditionelle Konzepte von Ort und Dingheiligkeit durch die Reformation verändert haben, was aus
den altären und heiligen Bildern geworden ist und ob sich das Heilige unter gewissen Bedingungen
auch weiterhin an Materie, Band und Ergo verorten ließ. Als Archäologin und Kunsthistorikerin
interessiert mich nun aber, ich erwähnte es bereits, die materielle Seite dieses Desakralisierungsprozesses,
mithin die Frage, inwiefern die Reformation auch eine Reformation des Kirchenraums mit sich gebracht
hat. Im Fokus sollen dabei nicht so sehr Neubauten stehen, solche sind im 16. Jahrhundert noch
ausgesprochen rar und mehren sich dann erst im 17. Jahrhundert, insbesondere nach dem 30-jährigen
Krieg, sondern vielmehr mittelalterliche Kirchen, die in den protestantisch gewordenen Gebieten
fortan den Neugläubigen als Gotteshaus dienten und für deren Kult adaptiert werden mussten. Was
geschah, so ist zu fragen, in diesen Fällen mit der traditionellen Aufteilung in Leihenhaus und
Sanktuarium, was mit den Altären samt ihren Reliquien und heiligen Figuren die Mittelalter
als sakrale Kulminationspunkte par excellence fungiert hatten. Reichte es, dass die Heiligen
nun nicht mehr in der Liturgie erwähnt wurden, dass vor ihren Bildern fortan keine Lichter mehr
entflammt und die Reliquienschreine nicht mehr in Prozession herumgetragen wurden, um die
Realpräsenz der Heiligen aus den Kirchen zu verbannen und aus den heiligen Figuren und
Reliquienschreinen reine Kunstwerke ohne jegliche sakrale Potenz zu machen? Oder war es notwendig,
sie physisch abzutun, Bilder, Reliquiare, Altäre und Sakramentshäuser also aus den Kirchen zu
entfernen oder gar zu zerstören, um jegliche Materie, an die sich einst Heiligkeit gebunden
Presenters
Prof. Dr. Carola Jäggi
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:07 Min
Aufnahmedatum
2012-05-09
Hochgeladen am
2013-01-16 14:31:09
Sprache
de-DE
Die mittelalterliche Vorstellung, dass sich Heiligkeit an bestimmten Orten verdichtet und in bestimmten Dingen und Personen materialisiert, hat im frühen 16. Jahrhundert durch die Reformation eine entscheidende Schwächung erlitten. Ein Blick auf den Umgang der Protestanten mit den von den Altgläubigen übernommenen Kirchenbauten zeigt jedoch, dass der Protestantismus eine durchaus eigene Sensibilität für Ding- und Raumsakralität entwickelt hat.
Der Vortrag fragt danach, ob und wie das mittelalterliche Verständnis von der Kirche als heiligem Raum durch den Protestantismus eine Umprägung erfuhr und wie sich diese Umprägung materiell - d.h. in der konkreten Binnentopographie und Ausstattung der einzelnen Kirchenräume - niedergeschlagen hat. Was beispielsweise ist aus den Altären und Heiligenbildern geworden, was aus der traditionellen Hierarchisierung des Raums in Presbyterium und Laienhaus?
Generelle Antworten auf diese Fragen sind nicht möglich. Vielmehr muss differenziert werden zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Protestantismus, zwischen Luthertum, Zwinglianern und Calvinisten, die mit sehr unterschiedlicher Vehemenz gegen die tradierten Formen von Heiligkeitsmanifestationen vorgegangen sind. So vollzog sich etwa im lutherischen Nürnberg die Depotenzierung der traditionellen Heilsmedien allein durch den Entzug des Kultes: Bilder und Reliquiare blieben an ihrem Ort, wurden fortan aber nicht mehr in Prozessionen herumgetragen oder mit Lichtspenden geehrt. Auch die Altäre blieben stehen; lediglich dort, wo sie die Sicht auf den Prediger verstellten, wurden sie abgebrochen. Durch die Kanzel erhielten die lutherischen Kirchenräume ein neues "Sakralzentrum", das durch seine Position an einem der Freipfeiler des Langhauses eine Abkehr von der alten Längsorientierung des Kirchenraums zur Folge hatte.
Anders im reformierten Zürich: Hier wurden alle Bilder, Altäre und Heiligengräber zerstört, was zeigt, dass man den alten "Götzen" einen hohen Zeichenwert, ja eine gerade magische Eigendynamik zuerkannte. Auch an der Lage und im verwendeten Baumaterial der "neuen" Prinzipalstücke Taufstein und Kanzellettner wird das feine Gespür von Zwingli und seinen Gefolgsleuten für die Sakralität von Räumen und Dingen erkennbar.