Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Vielen Dank für die einführenden Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte Ihnen heute als Kliniker anhand einiger,
weniger ausgewählter Beispiele einen Einblick in das noch recht junge Gebiet des Tisch-Engineering
und der regenerativen Medizin geben. Dabei geht es mir vor allem darum, dass Sie verstehen, was ist
derzeit noch Wunschdenken, was ist der Anspruch an diese Disziplin und was ist wirklich die Realität
heute. Warum haben wir überhaupt einen Bedarf an Tisch-Engineering und regenerativer Medizin?
Nun, das liegt zum einen an dem demografischen Wandel, also einer Tatsache, dass wir Menschen
heute im Durchschnitt immer älter werden. Und das hat auch etwas mit dem medizinischen Fortschritt
zu tun. Der medizinische Fortschritt führt nämlich dazu, dass wir heute viel häufiger mit
Verschleißerkrankungen zu tun haben. Tumoren werden viel häufiger und früher mit den modernen
Bildgebungsverfahren erkannt und dann auch mit verbesserten Therapieverfahren erfolgreicher
behandelt. Ein alltägliches Beispiel möchte ich Ihnen nicht vorenthalten aus der plastischen
Chirurgie. Da soll ich zunächst mal verdeutlichen, was die Sache mit dem Gewebeersatz denn so überhaupt
auf sich hat. Sie sehen hier eine 46-jährige Patientin, die durch einen Brustkrebs ihre
rechte Brust verloren hat. Gewebe vom Unterbauch wird zusammen mit den ernährenden Blutgefäßen
mikrochirurgisch, das ist eine besondere Operationstechnik, an eine Ader im Brustkorb
transplantiert und damit eine neue Brust geschaffen, die der ursprünglichen Brust in
vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist. Dennoch müssen wir dafür von einer anderen Stelle am
Körper körpereigenes Gewebe wegnehmen. Man nennt das die sogenannte Hebemobilität oder
Spendermobilität an der Entnahmestelle. Wenn damit wie hier eine Bauchstraffung einhergeht,
dann wird das noch gerne von den Frauen als einigermaßen angenehmer nebeneffekt hingenommen.
Das ist aber nicht immer so. Oft muss ein Muskel oder ein Knochen oder ein Blutgefäß oder ein
Nerv oder sogar ein ganzes Organ verpflanzt werden, um den Patienten zu helfen. Dadurch entsteht dann
aber ein signifikanter Schaden an der sogenannten Entnahmestelle. Es ist deshalb völlig klar,
dass der Versuch, Ersatzgewebe im Labor ohne großen Schaden zu gewinnen, einfach faszinierend
erscheint. Das beschäftigt uns Menschen aber schon lange. Bereits in der Bibel ist die Erschaffung
der Eva aus einer Rippe des Adams zu finden. Und die Idee, ganze Menschen im Labor zu erzeugen,
wie hier in Goethes Faust die Zeugung eines Homunculus im Alchemistenlabor ist ebenfalls
nicht neu. In Anbetracht der Knappheit von Ersatzorganen und den Problemen mit dem
begrenzten Vorrat an eigenen Ersatzgewebe lag es deshalb also auch nahe, diesen alten Traum
der Menschheit nun aber mit modernen Methoden der heutigen Zeit erneut anzugehen, um im Labor
Ersatzgewebe herzustellen. Langer und Vacanti haben erstmals Anfang der 90er Jahre über die
fantastischen Zukunftsaussichten des Tische Engineering berichtet. Damals war die Grundidee,
dass man durch die Anwendung von Ingenieursprinzipien und die Kombination von Zellen auf
geeignete Trägermaterialien jedes lebende Gewebe in etwa ein bis zwei Jahrzehnten, also heute,
konstruieren könnte. Sie hatten damals die Vision, dass man also in absehbarer Zeit ganze
Ersatzorgane oder Extremitäten im Labor herstellen könnte. Aber erst als die BBC im Labor von Charles
Vacanti dieses Bild mit einem Knorpelkonstrukt in der Form eines menschlichen Ohres auf dem Rücken
einer Nacktmaus entdeckte und dieses Bild dann in Windeseile um die Welt ging, entstand ein
enormer Hype um dieses neue Forschungsgebiet. Das Bild wurde aber falsch beschriftet und
irrtümlich für eine genetische Manipulation gehalten. Sie sehen das unten an der Bildunterschrift.
Das sorgte für sehr kontroverse Diskussionen, aber auch wiederum für umso größere Aufmerksamkeit für
das neue Forschungsgebiet Tische Engineering. Die daraus entstandene Forschung hat es mittlerweile
ermöglicht, dass wir heute in der Lage sind, etliche Zellsorten im Labor kontrolliert zu züchten
und zu vermehren. Damit stehen schon einmal wichtige Bausteine für die Gewebezüchtung
grundsätzlich zur Verfügung. Das gilt etwa für Hautzellen, Gefäße, Nervenhüllzellen, Knochen,
Knorpel, Muskel- und Fettzellen und viele andere. Hautzellen waren übrigens die ersten Zellen,
die man etwa seit Ende der 70er Jahre in Kultur standardisierbar vermehren konnte. Der Hautersatz
war daher auch die erste klinische Anwendung der neuen Techniken. Das theoretische Konzept,
Presenters
Prof. Dr. Raymund E. Horch
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:34 Min
Aufnahmedatum
2012-12-03
Hochgeladen am
2013-03-08 09:06:52
Sprache
de-DE
Der Bedarf an funktionellen Gewebeersatz wird nicht nur beim Verlust von Organen oder deren Funktionen, sondern auch bedingt durch die zunehmende Lebenserwartung für die Reparatur von altersbedingten Verschleißprozessen stets größer. Aufgrund dieses wachsenden Bedarfs wurde seit den 1990er Jahren verstärkt nach Auswegen gesucht, durch Züchtung körpereigener Ersatzgewebe (Tissue Engineering– TE) Organfunktionen zu ersetzen. Durch die Kombination von Technologien der Ingenieurs-, Werkstoff- und Lebenswissenschaften (Life Sciences), soll die Gewebefunktion aufrecht erhalten, ersetzt, verbessert oder grundlegend erforscht werden. Unter dem Begriff "Tissue Engineering" versteht man heute deshalb einen interdisziplinären Forschungsbereich an den Schnittstellen zwischen Medizin, Bio- und Materialwissenschaften.
Die größte Herausforderung stellen derzeit aber trotz aller Anfangserfolge noch ausreichend große Ersatzkonstrukte für größere Substanzdefekte dar. Dies liegt daran, dass die Durchblutung der transplantierten Zellen in der Anfangsphase bis zur Integration in den Körper noch nicht hinreichend gesichert ist. In Erlangen konnte hierfür ein Verfahren entwickelt werden, welches durch die Implantation von arteriellen Gefäßschleifen analog zur Technik der klinisch bereits eingesetzten mikrochirurgischen Lappenpräfabrikation bereits erfolgversprechende neue Möglichkeiten verspricht. Bis diese Probleme hinreichend gelöst sind, ist das Ausnutzen des Körpers als „natürlicher Bioreaktor“ im Sinne eines „guided tissue repair“ unter Einsatz der bereits jetzt durch TE gewonnenen Erkenntnisse ein erfolgversprechender Weg. Das Zusammenwirken zahlreicher verschiedener Forschungsinstitute in Erlangen unter dem Dach der Emerging Field Initiative (EFI) ist ein vielversprechender Ansatz auf dem Weg zum körpereigenen Gewebeersatz.