Meine Damen und Herren, Sinnlichkeit und Gottverlangen so eng beisammen, das geht nicht auf den ersten Blick ein.
Aber was unverträglich scheint, zieht sich an.
Sinnlichkeit und Gottverlangen in Abstoßung und Anziehung signalisieren die beiden Begriffe eine spannungsvolle Polarität.
Sie lässt sich an der öffentlich inszenierten Sinnlichkeit der Liturgie besonders leicht aufweisen.
Da weise ich jetzt zunächst darauf hin, auch wenn ich dann dieses öffentliche Gebiet der Religion wieder verlasse.
Schon auf den schnellen Blick präsentiert sich die römisch-katholische Messe als eine Handlung, deren Dramaturgie der Sinnlichkeit des Menschen weit entgegenkommt.
Farbige Gewänder, Prozessionen im Kirchenraum, leibliche Gesten, Klänge, Weihrauch für die Nase und vieles mehr.
Demgegenüber ist, wenn man von der Kirchenmusik absieht, der evangelische Gottesdienst eine karge Veranstaltung.
Der Kontrast ist evident. Auf der einen Seite katholische Sinnenfreude mit dem Höhepunkt der eucharistischen Feier.
Auf der anderen Seite protestantische Sinnenaschese, gipfelnd in oft lehrhafter Kanzleräte.
Beide Liturgiemodelle sind sich darin einig, dass sie dem menschlichen Gottverlangen einen gangbaren Weg vorgeben.
Sie tun es aber unterschiedlich. Das eine Modell betont die Sinnlichkeit ohne Vorbehalte.
Das protestantische Modell legt deutliche Zurückhaltung an den Tag.
Sie werden trotzdem sehen, das ist kein prinzipiell konfessioneller Unterschied.
Man kann auch auf der protestantischen Seite diese Polarität wahrnehmen, ohne dass man immer auf die katholische Seite rekurrieren müsste.
Ich gehe der Frage, wie Sinnlichkeit und Gottverlangen zusammengehören, heute eben nicht an den öffentlich zugänglichen Phänomenen der Liturgie nach.
Vielmehr wende ich mich einem Gebiet christliche Spiritualität zu, in dem der Zusammenhang von Sinnlichkeit und Gottverlangen weit weniger evident ist, der Mystik.
Hier im stillen Kämmerlein von Gebet oder auch Meditation sucht der einzelne Mensch, die äußere Welt hinter sich zu lassen, mit dem Ziel Erfahrungen mit Gott zu machen.
Gerade hier, so scheint es, müsste die Sinnlichkeit des Menschen eigentlich außen vor bleiben, denn sie gehört ja zur äußeren Welt, die man in der Mystik gerade verlassen will.
Was aber keineswegs der Fall ist. Vielmehr zeigt sich, dass auf dem verborgenen Terrain mystischer Erfahrungen Sinnlichkeit und Gottverlangen auch in spannungsvoller Polarität einander zugeordnet sind.
Ich widme mich mystischer Erfahrung im Protestantismus. Hier scheint die Frage nach der Sinnlichkeit erst recht ins Leere zu laufen.
Ich kann aber interessante Fundstücke präsentieren aus dem Bereich protestantischer Frömmigkeit und es werden sich im Lauf des Vortrags fünf Modelle der Zuordnung von Sinnlichkeit und Gottverlangen ergeben.
Das ist das Programm, was wir heute miteinander durchgehen. Die geistlichen Sinne in der Mystik, das ist die Grundlage.
Gotteserfahrung bei Martin Luther. Klangerotik bei Johann Sebastian Bach. Säkulare Musikmystik, was sich dahinter versteckt. Sie dürfen gespannt sein. Es wird ein Sprung sein.
Und das innere Ohr und der künftige Leib. Ich sage, weil sie einige schon mich erwartungsvoll anschauen, da geht es um Dietrich Bonhoeffer.
Aber zunächst zu den geistlichen Sinnen in der Mystik. In der christlichen Mystik spielt menschliches Sinnenvermögen eine Rolle.
Das aber selbstverständlich nicht so, dass Gott sinnlich zu erfahren wäre, genauso wie ein Phänomen der Welt.
Im Gegenteil, Mystik wird ja schon vom Begriff her verstanden als der Versuch, mit geschlossenen Augen, Mystik und unter methodischer Ausblendung weltlicher Reize Gott zu erfahren.
Zugleich aber, und das ist die spannungsvolle Polarität, bringt die Mystik ihre Gotteserfahrung in massiv sinnlicher Metaphorik zur Sprache.
Anlass, über Sinnlichkeit und Gottverlangen nachzudenken, gibt schon das Grunddokument des christlichen Glaubens selber, die Bibel.
Man kann ja fragen, kann man Gott überhaupt sehen? Für die Bibel ist das ein geringeres Problem.
Ich bringe jeweils eine einigermaßen prominente Belegstelle. Es heißt, schmeckt und sehe, wie freundlich der Herr ist.
Kann man Gott hören? Als der Prophet Jesaja in einer Vision in den himmlischen Thronsaal versetzt wird, hört er Gott selbst reden.
Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach. Kann man Gott schmecken?
Wenn von Jesus überliefert ist, dass er gesagt habe, ich bin das Brot des Lebens, dann ist die Frage zu bejahen.
Kann man Gott riechen? Jetzt kommt eine etwas schwierige Stelle. Ich will sie nicht weiter erläutern, aber dass es um Geruch geht, werden Sie sofort sehen.
Gott aber sei gedankt, der uns alle Zeit Sieg gibt in Christus und offenbart den Wohlgeruch seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten.
Und lasst, but not least, Gott tasten, was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen,
was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben. Jesus Christus, der menschgewartene Gott, kann so diese Stelle natürlich auch betastet werden.
Das sind nur fünf Beispiele, wie die Sinnlichkeit des Menschen und das Gottverlangen in der Bibel miteinander in Beziehung gebracht werden.
In der Alten Kirche schon hat man sich darüber Gedanken gemacht und schon bei Origines entwickelt sich eine Lehre von den geistlichen Sinnen.
Ihren Ort hatte sie auf dem mystischen Weg in die Gottes Wirklichkeit.
Gottes Erfahrung geschieht wie alle Erfahrungen nicht ohne Sinne, aber die Sinne, die von Natur aus an der Welt hängen,
müssen in sorgsam gestuften geistlichen Übungen sozusagen in geistliche Sinne gewendet werden, bevor sie zur Erfahrung Gottes taugen.
Das ist also ein Weg, den die Sinnlichkeit des Menschen zurücklegen muss.
Die kanonisch gewordenen Sequenzen des dreifach gestuften mystischen Weges geben auch die wesentlichen Stationen einer solchen Umwandlung des menschlichen Sinnesvermögens vor.
In der Purificatio, Reinigung, muss das Sinnesvermögen von seiner Weltverhaftung befreit und in der Illuminatio neu ausgerichtet werden, bevor es die Unio, die Einung mit Gott ermöglicht.
Immer wieder wird es darauf verwiesen, dass die Wandlung des Sinnesvermögens, Sie sehen das an der delikaten Farbgebung,
dass es hier von dem Gelb des menschlichen Bereiches in das Blau des göttlichen Bereiches übergeht, also dass die Wandlung des Sinnenvermögens auch mit einer Umkehr in der Rangordnung der Sinne verbunden ist.
Während bei den natürlichen Sinnen das Sehsinn und das Gehör als die sogenannten abstraktesten Sinne den obersten Rang einnehmen, sind es bei den geistlichen Sinnen interessanterweise Geruch, Geschmack und Tastsinn,
Presenters
Prof. Dr. Martin Nicol
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:29:47 Min
Aufnahmedatum
2009-07-15
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:29
Sprache
de-DE