Um den Abschluss des Gedenkjahres soll von einer mehr philosophischen Warte aus die Frage
gestellt werden, worin eigentlich das besondere in Einsteins wissenschaftlichen Denkstil,
um einen Begriff von Ludwig Fleck zu gebrauchen, liegt.
Selbstverständlich lässt sich Genialität nicht erklären.
Wohl aber lassen sich im Einzelfall die Komponenten benennen,
aus denen sich eine geniale Leistung zusammensetzt.
Dies wollen wir im Falle Einstein versuchen.
Einstein gilt als Volländer der klassischen Physik.
Und es liegt nahe, das Besondere an seinen Leistungen herauszuarbeiten,
indem man diese vergleicht mit den Leistungen eines anderen Wissenschaftsgiganten,
nämlich des Begründers der modernen Physik Isaac Newton.
Zum Schluss meines Vortrages werde ich dann noch kurz auf das Einstein-Jahr
als den groß angelegten Versuch, Wissenschaft und das Volk zu bringen eingehen.
Einstein selbst war ein großer Popularisator, nicht nur seiner eigenen Ideen, sondern der Physik überhaupt.
Und deshalb lohnt es sich zu überlegen, ob der Veranstaltungsmarathon, den wir erleben
oder zumindest beobachten konnten, etwas von seinen Geisten hatte.
Wenn wir Einstein-Minuten vergleichen, dann fallen zunächst einige Gemeinsamkeiten ins Auge.
Beide haben ihre großen Leistungen in relativ jungen Jahren vollbracht,
was allerdings bei Mathematiker und Physiker nicht so selten ist.
Beide fanden durchaus Anerkennung bei Kollegen und in der Öffentlichkeit
und wurden schließlich sogar als Herrrohn ihrer Wissenschaft geschätzt.
Letzteres allerdings erst in einem Alter, als sie ihren schöpferischen Zenit überschritten hatten.
Beide hatten sich, nachdem sie ihre großartigen Leistungen vollbracht hatten,
an Aufgaben versucht, an deren Bewältigung sie letztlich gescheitert sind.
Newtons naturwissenschaftliche Interessen verlagerten sich mit zunehmendem Alter
immer mehr auf das Gebiet der Chemie bzw. Alchemie,
ein Feld, auf dem er keine zündenden Ideen entwickeln konnte.
Und Einstein blieb zwar bei der Physik, hatte aber mit seinen Versuchen,
eine einheitliche Feldtheorie zu entwickeln, unter deren Dach Gravitation
und Elektromagnetismus vereinigt, wären auch kein Erfolg.
Beide hatten auch ein eigentümliches Verhältnis von Nähe und Distanz
zu den anderen Mitgliedern ihrer scientific community.
Verschieden sich an beiden die wissenschaftlichen Geister ihrer Zeit,
sie fanden engagierte Mitstreiter wie erbitterte Gegner und beide machten es
ihren Kollegen nicht immer leicht, mit ihnen in einen furchtbaren und offenen
Diskurs einzutreten.
Schließlich waren beide vielseitig interessiert und gebildet und in
vielerlei Hinsicht äußerst kreativ.
Aber an dieser Stelle können wir dann auch schon entscheidende Unterschiede
feststellen. Anders als Einstein war Newton ein genialer Mathematiker.
Wie kein zweiter vor ihm und wohl auch keiner nach ihm beherrschte er die
klassische Geometrie.
Sein kaum gelesenes zweites Buch der Philosophie Naturalis Principia
Mathematica quillt geradezu über von den schwierigsten geometrischen Beweisen.
Er bewegte sich aber nicht nur virtuos in den Bereichen der Geometrie,
sondern legte darüber hinaus das Fundament für eine neue Disziplin,
die Analysis.
Natürlich gab es auch auf diesem Gebiet der Infinitesimalrechnung
Vorläufer, aber das Denken der Mathematiker zu Zeiten Newtons war sehr
stark an konkreten Aufgaben orientiert.
Presenters
Dr. Rudolf Kötter
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:48 Min
Aufnahmedatum
2005-12-22
Hochgeladen am
2014-12-02 15:25:58
Sprache
de-DE