1 - Der medialen Wirklichkeit eine Form geben: Zur Gestaltung und Nutzung digitaler Lesemedien [ID:8785]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Auch von mir einen wunderschönen guten Abend und ich freue mich, dass Sie heute Abend hier sind und

sich für die Gestaltung der digitalen medialen Wirklichkeit des Lesens interessieren. Wenn ich

jetzt heute von Gestaltung medialer Wirklichkeit sprechen will, meine ich nicht die inhaltlich

und sprachlich erzeugte fiktionale oder non-fiktionale Imagination von gelesenen

Inhalten in Schriftform. Also da muss ich Sie ein bisschen enttäuschen und das hier, das geht

es tatsächlich nicht, sondern es geht um die physischen und psychischen Folgen für ganz

lebensweltliche reale Lesepraktiken, wenn jetzt digitale Texte in bestimmter Art und Weise über

digitale Geräte angeboten werden. Das ist zum Beispiel die Wirklichkeit des Lesens zuhause,

wie Sie ja sehen auf der Couch, wenn Sie das kennen, im Bett lesen Sie vermutlich auch, wenn

Sie mit Ihren Kindern etwas lesen. Das ist das Lesen unterwegs, in Wartezeiten, in Reisezeiten

oder Urlaubszeiten oder das Lesen auch am Arbeitsplatz beziehungsweise in der Schule und so weiter.

Es geht also um die Form schriftlicher Kommunikation für bestimmte Lesepraktiken und damit eigentlich

um den Bereich der klassischen Mediengestaltung, der ganz unterschiedliche Teilaspekte zwischen

Kunst, Ästhetik, Gebrauchstauglichkeit, Technologie und so weiter aufweist, die wiederum sehr

vielfältig unter unterschiedlichen Zielsetzungen auch thematisiert werden in der Forschung.

Der heutige Beitrag basiert auf den bisherigen Arbeiten in einem Projekt der Buchwissenschaft

der FAU, das meine Kollegin Svenja Hagenhoff, die netterweise auch heute hier ist und ich schon

sein alter Raum in Zeit verfolgen, nämlich der medialen Gestaltung von digitalen Texten als

geoinem Wert für den Leser und damit auch als Wert für meist ökonomisch motivierte Organisationen,

sprich im Regelfall Verlage, die Texte bereitstellen. Unsere Beobachtung war und ist es,

dass die Gestaltung von digital verbreiteten Texten bislang wenig bewusst differenziert

erfolgt. Stattdessen sind die gegenwärtigen digitalen Lesemedien vor allem durch zwei

sehr markante Gestaltungsmuster geprägt. Zum einen erscheint ihre Gestaltung als meist als

minderwertig wahrgenommene Imitation analoger Leseobjekte, wie sie hier oben in einem Beispiel

sehen können. Hier werden also deren materiell bedingten Gestaltungsentscheidungen ins digitale

übertragen, ohne aber dort materiell hinterlegt zu sein. Und die genuinen digitalen Möglichkeiten

der Anordnung und Nutzung von Texten werden dabei weitgehend ausgeblendet. So sehen wir

beispielsweise häufig dem Druckbild entsprechende Satzspiegel, die Darbietung des Textes auf dem

Bildschirm als Doppelseite, das Blättern von Seiten zum Fortschreiten im Text, sogar die

Abbildung eines materiellen Buchkörpers und so weiter. Zum anderen erscheint digitale Gestaltung

im Kontrast dazu aber auch oft auch als technologischer Imperativ der digitalen

Möglichkeiten. Denn sowohl im künstlerischen als auch im ökonomischen Bereich wird oft mehr Wert

darauf gelegt umzusetzen, was technisch möglich ist und weniger darauf umzusetzen, was Lesen

tatsächlich verbessert und damit eben auch Wert erzeugt. Hier sehen wir dann umfassend durch

links durchsetzte Texte, die während des Lesens Musik und Videos abspielen und die man in Echtzeit

in sozialen Netzwerken diskutieren kann, wie hier am unteren Beispiel angedeutet. Auch wissenschaftlich

fehlt es bisher an differenzierter Reflektion der digitalen Gestaltungsmöglichkeiten. Stattdessen

erfolgt oft nur eine Beteiligung am wertenden Diskurs über digitale Medien an sich, die das

Lesen ent- oder aufwerten würden. Wir begreifen in diesem Projekt die Gestaltung von digitalen

Texten deshalb stattdessen als einen Aspekt, der bestimmte positive oder negative Wirkungen

beim Lesen erzeugen kann. Deshalb ein Verständnis des Einflusses bestimmter Gestaltungsentscheidungen

auf konkrete Lesepraktiken unserer Meinung nach ein lohnendes Erkenntnisziel auch darstellt. Oder

anders gesagt wir fragen nach den Möglichkeiten digitaler Gestaltung und ihrem Einfluss auf

fiktionale und non-fiktionale Wirklichkeiten, die während des Lesens konstruiert werden und in sich

einen Wert für Leser und damit eben auch wechselseitig für Bereitsteller erzeugen. In einer

einfachen Projektbeschreibung sehen die Themenfelder dieses Projekts wie auf der Folie skizziert aus.

An den Schnittstellen von Gestaltung, Ökonomie und Rezeption ergeben sich dann spezifische

Fragestellungen im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Relationen von Gestaltung, auf angepasste

Geschäftsmodelle der Bereitstellung von Texten und auf die Erzeugung von Wirkungen durch Gestaltung

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:50:57 Min

Aufnahmedatum

2018-01-17

Hochgeladen am

2018-01-24 16:32:24

Sprache

de-DE

Mit der Digitalisierung haben sich viele zeitgenössische Sprachkunstwerke endgültig weit von dem entfernt, was gemeinhin als Literatur verhandelt wird. Der literarische Schaffensprozess besteht längst nicht mehr nur – und in Zukunft möglicherweise noch viel weniger – darin, neue, eigene Texte zu verfassen und diese dann einem Verleger zur Publikation in einem gedruckten Buch zu überlassen. Heute schreiben Autor/innen nicht mehr nur, sie programmieren auch, sie kodieren, sie hacken, sie werten Daten aus und sie erzeugen Daten, sie übersetzen, sie transkribieren, sie kopieren, sie kompilieren, sie crowdsourcen, sie setzen, sie drucken, sie posten, sie chatten … Ähnlich vielfältig sind die Werke, die entstehen, die Medien, in denen sie verwirklicht werden, die Orte, an denen sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, die Lektüren, die sie einfordern. Die Ringvorlesung nimmt diese unübersichtliche und noch nicht verfestigte Gemengelage der Medien und Künste nach ihrer Digitalisierung zum Ausgangspunkt und liefert, in aller Vorläufigkeit, eine Bestandsaufnahme aktueller Erscheinungsformen postdigitaler Literatur, die dem Stimmengewirr der Social Media abgelauscht ist, die Reizüberflutung des Internet kanalisiert oder verstärkt, in kollektiven Schreibprozessen entsteht und auch gemeinschaftlich gelesen wird, die ge- und erspielt, abgeschrieben und zusammenkopiert wird, sich Data Mining-Verfahren zunutze macht, sich in die Tiefen des digitalen Codes hineinwagt, vom Computer generiert wird, als Virus oder Hack angelegt ist, Lesen und Schreiben zusammenführt, das ‚alte‘, analoge Medium feiert oder im Gegenteil auf das E-Book setzt und das literarische Feld sowie den literarischen Markt grundlegend aufmischt.

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