Herzlich willkommen zur Vorlesung des Phänomenen Paul-Gerhard Lieder. Einige, die zuhören, werden
das letzte Semester schon da gewesen sein. Andere sind neu. Schön, dass Sie sich auch interessieren.
Ich werde es so halten, dass ich schwerpunktmäßig jetzt in diesem Semester die Lieder vornehme,
die zur Kirchenjahreszeit passen. Das heißt, wir fangen natürlich mit Ostern an, denn Ostern
liegt unmittelbar hinter uns und wir enden natürlich mit dem Paul-Gerhard-Lied schlechthin,
nämlich mit dem sogenannten Sommerlied, geh aus mein Herz und suche Freut, dass wir ja schlecht
im letzten Wintersemester besprechen konnten. Ich werde immer wieder Dinge von allgemeiner Bedeutung
zur Vita, zu den Ausgaben, zu den Gesangbüchern, zu den Sätzen, zu den Komponisten einstreuen,
die im letzten Semester natürlich auch schon gesagt wurden. Da wiederholt sich dann also etwas,
aber das schadet ja bekanntlich im Allgemeinen gar nichts. Wir wollen also beginnen mit dem
Osterlied Paul Gerhards, das im Gesangbuch steht. Es ist das Lied mit dem schönen Einstieg auf,
auf mein Herz mit Freuden im Gesangbuch die Nummer 112. Ich habe abgelegt als Arbeitsmaterial eine
Kopie mit handschriftlichen Eintragungen von mir aus der Edition des Gesangbuchs, in dem es erschienen
ist, Praxis Pietatis Melica, das ist das Kürzel PPM, wo die Musik mit zwei Systemen gedruckt ist,
da oben die Melodie und der Bass und noch eine zweite Variante, wo sechs Stimmen abgedruckt sind,
der volle Satz und die zwei Oberstimmen für Violinen. Ich habe eine Aufnahme, wie auch schon
im letzten Semester, von diesem vollen Satz von der Musikalischen Kompanie 2014 aufgenommen an
originaler Tette in Berlin, Nikolai Kirche und das habe ich als Klangbeispiel unterlegt. Es sind da
nicht alle Strophen, sondern fünf Strophen und es wird wechselweise gesungen von vier Sängern oder
nur einem, einmal eine Männerstimme, einmal der Knabe, der sonst sopran singt. Also es wäre sinnvoll,
dass Sie sich jetzt als erstes dieses Klangbeispiel, das ja auch hochgeladen ist,
einfach anhören und genüsslich und wohlwollend zuhören. Ja, ich möchte zunächst bei der
musikalischen Fassung etwas verweilen, also erst nachher zum Text gehen, was natürlich auch
besonders spannend ist, aber da wir nun die Musik unmittelbar im Ohr haben, einige Sachen dazu und
diejenigen, die im letzten Semester schon da waren, kennen das schon, aber es schadet wie gesagt ja
nichts. Das Besondere daran ist, dass Johann Krüger, der Kantor an der Berliner Nikolai Kirche,
diese Art von musikalischem Setting, wie man heute sagen würde, von musikalischem Setting von
geistlichen Liedern erfunden hat. Das Besondere ist, ist ein vierstimmiger Satz, das wäre nichts
ungewöhnliches, das gibt es auch sonst in dieser Zeit, mit der Melodie im Sopran, der sogenannte
Kanzionalsatz, aber darüber noch zwei sogenannte konzertierende Violinen, die durchaus auch
schnellere Töne spielen als die Sänger singen, also es ist wirklich ein Schmuck, eigentlich müsste
man sagen eine Corona, eine Krönung, im Wort sind sie sehen ja auch in den Noten, dass die beiden
Violinstimmen schön oben drüber notiert sind, also tatsächlich wie der Tonsatz ist eigentlich das
Haupt, wo gesungen wird und darüber als Zierte, als Krone noch zwei Violinstimmen. Das ist eine
hohe Kunst, überhaupt solche Sätze mit plausibler Stimmführung zu schreiben, denn man muss ja immer
aufpassen, dass es keine Quintparallellen und sowas gibt und das hat Krüger meisterhaft
beherrscht, er war der erste, der das so gemacht hat und viele sind ihm darin nicht gefolgt, weil
das einfach schwierig ist, das Satz technisch zu realisieren. Nun haben wir bei dieser Aufnahme in
allen fünf Strophen, die Sie gehört haben, immer die Violinen mit dabei gehabt, falls Sie genau zu
gehört haben, haben Sie festgestellt, dass die Violinen nicht immer dasselbe spielen, es gibt
kleine Abweichungen und das kommt von daher, dass Johann Krüger zwei verschiedene Editionen vorgelegt
hat, eine die erste 1649 und die zweite 1657 und in der zweiten Edition 1657 ist manches ein
bisschen anders, keine Sorge, das werde ich jetzt nicht weiter ausbreiten, denn das wäre musikalisch
spitzfindig und gehört eher in Musiktheorie Vorlesungen. Die Leute, die das aufgenommen haben,
haben es so gelöst, dass sie bei den Strophen, wo ein Sänger nur singt, der dann nur die Melodie
singt, die zweite Variante gewählt haben, wo die Violinen tatsächlich noch etwas bewegter sind und
da wo alle vier singen, da ist also die erste Variante von 1649. Jetzt muss ich auch noch, bevor
ich konkret zur Melodie und zu diesem Lied komme, kurz nochmal erklären, diese Publikationen, also
1649 hat Krüger quasi eine Art Choralbuch, also ein Musikbuch veröffentlicht, wo zu den Liedern,
die er in seinem Gesangbuch dazu gleich gebracht hat, eben die musikalischen Sätze bringt und
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:35:38 Min
Aufnahmedatum
2020-04-22
Hochgeladen am
2020-04-30 00:06:19
Sprache
de-DE
Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II
Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.