Ich darf bei der Gelegenheit deutlich machen, dass ich hier wunderbare Assistenz habe von zwei Mitarbeitern.
Sie gehören zum Rechenzentrum? Nein, sie gehören nicht zum Rechenzentrum.
Ach so, Sie sind bei den Theater- und Medienwissenschaften angestellt? Ja, mit ganz einschlägiger Kompetenz.
Und die mit zwei Kameras hier in unserem vertrauten Vorlesungsraum sich aufgebaut haben und das wunderbar aufnehmen und dann auch präparieren.
Ich bin sehr gespannt, wie das dann nachher ausschaut.
So, jetzt wenden wir uns dem Text zu dieses wunderbaren Liedes und natürlich auch jeweils der Verbindung von Text und Melodie.
Vielleicht nehmen Sie jetzt zur Orientierung das Liedblatt, wo also der gesamte Text, alle Strophen drauf sind,
mit meinen wie üblichen Kringeln und Kästen, die ich da eingetragen habe, um etwas Markierungspunkte zu legen.
Erste Strophe steht also unter den Noten. Ich muss noch kurz zu diesen Noten sagen, dass Sie sich davon nicht verwirren lassen.
So wurde es also im Gesangbuch abgedruckt mit zwei Notenzeilen.
Die Oberstimme ist die Melodie und die steht in einem C-Schlüssel, wo also die unterste Linie das C hat.
Deswegen ist also die erste Note, die Sie da sehen, nicht ein E, wie es im Violinschlüssel wäre, sondern ein C.
Deswegen haben Sie Schwierigkeiten, dass jetzt, sofern Sie Violinschlüssel zu lesen gewohnt sind, das zuzuordnen.
Die untere Zeile ist also die Bassstimme und dabei stehen Ziffern, die die Harmonisierung anzeichnen, wenn irgendwas Besonderes ist.
Hier sind es nur ein paar Sechser.
Gut, Text der ersten Strophe steht also hier auch jetzt unter den Melodien, deswegen müssen Sie da jetzt das verfolgen.
Man hat dann nicht genau so den Überblick über den Textaufbau, aber das kriegen wir hin.
Eingangszeile. Auf, auf mein Herz mit Freuden. Das ist natürlich ein starker Beginn, sehr appellativ, sehr aufmunternd, doppeltes Auf, auf, aufmunternd.
Und mein Herz und mit Freuden.
Es ist gut, sich klarzumachen, dass das beliebteste Paul-Gerhard-Lied in seiner Anfangszeile genau dieselben Kennworte hat, nämlich Geh aus mein Herz und suche Freude.
Also mein Herz und Freude.
Es wird ja viel über angemessene Singformen in der Kirche immer wieder geredet.
Und die Paul-Gerhard-Lieder haben ja auch bei Menschenkonjunktur, die sonst nicht so viel von alten Liedern haben.
Vielleicht liegt es gerade auch an solchen Headlines, wie man heute sagt, klassischer Begriff wäre Incipit, wie etwas beginnt, ein Text, dass sie so positiv, so ermunternd daherkommen.
Auf, auf mein Herz mit Freuden. Nimm wahr, was heute geschieht. Also mit Freuden, nimm wahr, was heute geschieht.
Also es will uns die Augen öffnen. Wir sollen einfach aufwachen, hinschauen. Es passiert etwas Wunderbares, was Grund zur Freude ist.
Wichtig ist noch, heute geschieht beziehungsweise ursprünglich heißt es Geschichte. Da sieht man, dass Geschehen mit Geschichte zu tun hat. Also was heute geschieht, also es geschieht heute.
Das ist es heute der liturgischen Vergegenwärtigung. Wenn wir Ostern feiern, dann nehmen wir das Ereignis, auf das wir uns an Ostern beziehen.
Obwohl es 2000 Jahre her ist, so war, als ob es heute geschehe. Deswegen ist es wichtig, Ostern zu feiern, das Kirchenjahr zu feiern, weil es diese Form von Anamnese ist, wie ja der Fachbegriff heißt.
Erinnerung, Erinnerung nicht, wie es eher der romantische Gestus ist, dass man an etwas long time ago denkt und darüber nachsinniert und sozusagen in der Haltung, oh wie war es ihr denn so schön.
Sondern das, was damals lange sehr passiert ist, ist so gegenwärtsbestimmend, als ob es heute passierte und wenn wir Ostern feiern, dann wird die Auferstehung zum Heute zur absoluten Gegenwart.
Diese Gegenwart bedeutet für diejenigen, die es wahrnehmen, dass auch sie gegenwärtig sein müssen, Präsenz, aufmerksam, um es wahrzunehmen.
Deswegen doppelt es auf, auf, auf, schau hin, es entgeht hier sonst was.
Es wird noch nicht genauer gesagt, was entgeht, was passiert in der ersten Zeile. Auch die zweite Zeile ist noch metaphorisch auf einer Bildebene.
Wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht? Es ist das Gegenüber, der Kontrast, Leiden, Licht.
Damit wird schon klar, was gemeint ist. Mit Leiden ist die Passion Christi gemeint. Aber es ist hier ja sehr allgemein formuliert.
Man kann es auch, muss nicht sofort das kurz schließen, auf speziell den Kreuzestod Christi allein.
Wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht? Also das Faszinierende dessen, was da jetzt passiert, ist, dass aufgrund einer negativer Erfahrung,
die unmittelbar zurückliegt nach großem Leiden, jetzt plötzlich total gegensätzlich etwas ungemein Positives hereinbricht.
Und wir haben hier mit dieser sprachlichen Verbindung Leiden, Licht, also Alliteration, beide Hauptworte beginnen mit L, haben wir das sehr plastisch ausgedrückt.
Man kann auch noch die Gegensätzlichkeit, kann man auch noch sehen in den Vokalen, O, I, also großes Leiden und helles Licht mit dem I-Vokal.
Auch hier in der Wiederholung, also dritte und vierte Liedzeile, kommt noch mal als Ponderatum heute ein Partikel, das die Gegenwertigkeit unterstreicht,
nämlich das Wort nun. Deswegen habe ich das eingekringelt. Nun, es ist das nun der Heizerfahrung, jetzt passiert es.
Fortsetzung, also zweite Zeile, beziehungsweise es ist de facto die fünfte Liedzeile. Jetzt wird es konkret, jetzt werden sozusagen Ross und Reiter genannt.
Mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt, wann von uns unser Geist gen Himmel ist gereist. Das ist ein Satz Zusammenhang.
Aber auch das ist indirekt gesprochen. Also das ist wie ein guter Geschichtenerzähler, der die Katze nicht gleich aus dem Sack lässt,
sondern bewusst den Sachverhalt nur vage benennt, sodass derjenige, der es hört, selber aktiv sein muss und sich das Eigentliche dazudenken.
Mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt. Sie müssen als Rezipient dazudenken, aha gemeint ist, dass Christus begraben wurde.
Denn begraben werden auch wir, wenn wir sterben. Diese letzte Zeile, wann von uns unser Geist gen Himmel ist gereist,
ist sozusagen ein Euphemismus, also eine beschönigende Darstellung des Sterbens.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:59:55 Min
Aufnahmedatum
2020-04-22
Hochgeladen am
2020-04-30 03:26:20
Sprache
de-DE
Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II
Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.