1 - Fortschrittsoptimismus und Prognose im modernen China [ID:2136]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Wort

Fortschrittsoptimismus denkt man zunächst wahrscheinlich an den europäisch-amerikanischen

Kontext und zwar vor allem an das 19. teilweise auch an das 18. Jahrhundert.

Der Historiker Georges Minois sieht in den Jahren von 1800 bis 1870 den Höhepunkt des

Glaubens an den wissenschaftlichen, kulturellen, sozialen, politischen, ökonomischen Fortschritt.

Mit dem Titelwort modernes China beziehe ich mich aber auf das 20. Jahrhundert.

In Europa und Amerika war die Fortschrittsidee, um nochmals mit Georges Minois zu sprechen,

im 20. Jahrhundert tödlichen Schlägen ausgesetzt gewesen.

Gerade solches lässt sich mit Blick auf China nicht behaupten.

Ich möchte nun einige Grundzüge von Fortschrittsoptimismus skizzieren, bevor ich Beispiele liefern werde.

Mit dem Siegeszug der neuen Ideen von Evolution und Fortschritt ging im China der Jahrhundertwende

noch ein weiteres Novum einher.

Die Überlegenheit der westlichen Nationen wurde nun viel umfassender wahrgenommen, als

dies zuvor noch der Fall war.

Kaum jemand vertrat noch die alte Auffassung, die westlichen Nationalstaaten seien lediglich

in einzelnen Sektoren, insbesondere in der Rüstung und militärischen Organisation,

überlegen.

Auch der Kaiserhof hatte erkannt, dass die politischen Ordnungen, das gesamte Bildungswesen,

die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen, die ökonomische Dynamik des Westens in einen

Gesamtzusammenhang stünden.

Damit war der Boden bereitet für die Vorstellung von einem weltumspannenden Prozess der Moderne

und der Modernisierung, in dem die wissenschaftliche Zivilisation eine entscheidende Rolle spielte.

Und dies wiederum stand unter den Vorzeichen der Machbarkeit und Steuerbarkeit von zivilisatorischem

Fortschritt.

Der unerbeißbare Wandel, der sich am modernen Westen zeigte, wurde in China in breiten Kreisen

nun gerade nicht als kontingenter, das heißt als zufälliger und anonymer historischer

Prozess aufgefasst.

Zivilisatorischer Fortschritt galt als im Ganzen machbar und damit nachholbar.

Im Zuge der verspäteten Modernisierung konnte sich daher sogar noch die historische Chance

eröffnen, aus den Fehlern des Westens die nötigen Lehren zu ziehen.

Fortschrittsoptimismus und die Vorstellungen einer nachzuholenden Modernisierung gehen

hier Hand in Hand.

Was sich in diesem Zusammenhang als Fortschrittsoptimismus beobachten lässt, könnte man als eine optimistische

Handlungserwartung bezeichnen.

Man könnte auch von Prospekt Optimism sprechen, um den Zukunftsforscher und Philosophen Nicholas

Rescher zu zitieren.

Im Grunde handelt es sich dabei um die Überzeugung, eine zielgerichtete Gesamtentwicklung von

Gesellschaften sei von Menschen machbar.

Ich möchte daher von Machbarkeitsoptimismus sprechen.

Bei diesem handelt es sich um den Glauben, dass sich die Dinge zum Guten hin bewegen lassen

und es ein Wir gibt, das seine eigene Geschichte beherrscht.

Nicholas Rescher, der die chinesischen Verhältnisse nicht kennt, nennt das Beispiel hierfür den

technologischen Optimismus im Amerika der Jahre 1945 bis 60.

Völlig fremd ist dem Machbarkeitsoptimismus die Vorstellung von der Moderne als einen

planlos verlaufenden Prozess, der von kontingenten Ereignissen durchfurcht wird und letztlich

unbeherrschbar bleibt.

Ein berühmter Vertreter einer solchen nicht-optimistischen Auffassung ist der Soziologe Max Weber.

Er entwarf hierfür das oft zitierte Bild von der Moderne als ein Stellernengehäuse

der Hörigkeit, in dem das entmachtete, geschichtliche Subjekt nicht mehr Steuermann der Geschichte

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Thomas Fröhlich Prof. Dr. Thomas Fröhlich

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:28:49 Min

Aufnahmedatum

2011-11-02

Hochgeladen am

2012-03-21 12:18:52

Sprache

de-DE

Während in Europa und Amerika die „Fortschrittsidee“ im späten 19. und im 20. Jahrhundert zusehends in die Kritik geriet, finden in China höchst fortschrittsoptimistische Positionen zur gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung des Landes bis zur Gegenwart weite Verbreitung. Fortschrittsoptimismus erweist sich dabei als ein prägendes Merkmal einflussreicher chinesischer Konzeptionen der modernen Welt. Im Vortrag wird zunächst die Beschäftigung mit westlichen Konzeptionen von Fortschritt und gesellschaftlicher Evolution, wie sie in China gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm, im zeitgeschichtlichen Kontext beleuchtet. Davon ausgehend werden Grundzüge von Fortschrittsoptimismus identifiziert und in den Zusammenhang der Frage nach der Modernisierung des Landes, die im China des 20. Jahrhunderts allgegenwärtig war, gestellt. Der Vortrag schließt mit kritischen Überlegungen zu den Implikationen und Folgen von Fortschrittsoptimismus, wie sie sich aus gegenwärtigen chinesischen Konstellationen ergeben. Dabei wird insbesondere deren Rückwirkung auf die Wahrnehmung westlicher Moderne in China erörtert.

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