Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine große
Freude hier zu sein. Ich halte relativ oft Vorträge im technischen Kontext, dass die Universität
Karlsruhe, die frühere Universität, ist eine technische Universität. Mein Institut ist auf dem
Gelände des alten Kernforschungszentrums Karlsruhe untergebracht, wo einmal der Schnelle Brüther
erfunden worden ist. Damit waren auch bestimmte Zukunft verbunden, die heute veraltet sind. Also
ich bin in einem technischen Kontext sozusagen normalerweise tätig und freue mich sehr heute
in einem geistes- und kulturwissenschaftlichen Kontext vortragen zu dürfen und ich hoffe auch
dann in der Diskussion ein wenig von Ihnen lernen zu können. Die Themen Ihres Kollegen Schicksal,
Prognose, Freiheit, das sind ja die ganz großen Themen der Menschheit. Mit diesen ganz großen
Themen habe ich normalerweise nicht so viel zu tun, eine Ebene drunter sozusagen, aber ich habe bei
der Vorbeweisung des Vortrags doch gemerkt, hin und wieder stoße ich auch an diese Ebene heran und
freue mich jetzt Ihnen dazu ein paar Thesen entwickeln zu können. Es gibt zwei große
Erzählungen, die in westlichen Ländern auf der Basis der europäischen Aufklärung mit der Zukunft
des Menschen und dem Fortschritt verbunden sind. Das eine ist eine positive Geschichte, eine
erwartungsvolle Geschichte, manchmal könnte man fast sagen eine säkulare Geschichte der
Heilserwartung. Das andere sind apokalyptische Befürchtungen von Kontrollverlust und Bedrohung
des Humanum durch das Technische. Ich werde beide Geschichten erzählen und dann eben auch
diese Geschichten versuchen zusammenzubringen und zu sehen, was kann man daraus lernen,
dass es diese Geschichten eben beide gibt und in ihrer Gegensätzlichkeit gibt. Vorab möchte
ich etwas sagen über Zukunft als Konstruktion. Das ist sozusagen ja erwachsen aus dem Fach der
Technikfolgenabschätzung und meiner eigenen theoretischen Befassung mit dem, was wir tun und
tun sollen, nämlich Technikfolgen zu erforschen, die es noch gar nicht gibt, prospektiv,
antizipativ Technikfolgen zu bedenken, um diese Erkenntnisse dann zu bewerten und in die Entscheidungen,
die über neue Technik getroffen werden, sei es in Forschungsförderung, in Regulierung,
in Technik- und Innovationspolitik zu berücksichtigen und dadurch wenn möglich zu
besseren Entscheidungen zu kommen. Sie ahnen sofort, das ist alles entstanden auf dem Hintergrund
nicht so angenehmer Erfahrungen mit technischen Entwicklungen, die dann späterhin Folgen gehabt
haben, die man nicht gewollt hat, die man nicht vorhergesehen hat, die nicht intendiert waren.
Und die Idee der Technikfolgenabschätzung war, möglichst alle Folgen, nicht nur die positiven,
vorher zu erforschen, um dann eine rationale und gut begründete Entscheidung treffen zu können.
Dabei muss man sich auf Zukunft einlassen, auf Zukunftserwartungen, auf Zukunftsbilder,
gelegentlich auf Prognosen, vielfach auf Szenarien. Und ich habe in den letzten Jahren relativ viel in
diesem Kontext Zukunft gedacht und gearbeitet. Zunächst einmal ist mir aufgefallen und das mag
vielleicht auch im interkulturellen Dialog interessant sein, Zukunft gibt es im Deutschen
grammatisch nur im Singular. Das Wort Zukunft ist in der Sprache nicht vorgesehen. Das ist im
Englischen anders, von daher scheint es keine europäische Eigenart zu sein, aber im Italienischen
zum Beispiel ist es auch so, da gibt es nur den Singular. Und ich habe jetzt vor einigen Jahren
begonnen über Zukunft zu sprechen, das stößt nicht immer auf Begeisterung. Ich erinnere mich
daran, dass einmal ein Physiker aus Karlsruhe auch ganz, ganz wirklich erregt aufgestanden ist und
hat gesagt, Herr Grunwald, was für ein Unsinn, es gibt doch nur eine Zukunft. Und als ich dann
gesagt habe, ja, Herr, den Namen sage ich jetzt nicht, welche denn? Und das konnte er nicht
beantworten, aber dann kam wir in ein gutes Gespräch und ich habe angefangen über Energiezukünfte
zu sprechen, Technikzukünfte, Zukunft verschiedener Art. Es wird jetzt, falls Karlsruhe in der
Exzellenzinitiative 2 erfolgreich ist, ein Institut für Technikzukünfte dort geben, also das habe ich
glaube ich in Karlsruhe einigermaßen etabliert. Das Wort Zukunft im Plural stößt vielfach auf
Interesse, teilweise auf Ablehnung oder auf jedenfalls auf Nachfrage und Interesse. Und für mich ist
das sozusagen Programm, dieses Wort im Plural zu verwenden. Und der Hintergrund ist eigentlich fast
trivial und als Philosoph darf man ja gelegentlich auch triviale Dinge sagen und ich glaube, ich darf
es deswegen auch tun, weil diese trivialen Dinge, die ich jetzt in den nächsten zwei, drei Minuten
Presenters
Prof. Dr. Armin Grunwald
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:10:05 Min
Aufnahmedatum
2011-11-09
Hochgeladen am
2011-11-15 13:13:50
Sprache
de-DE
In den öffentlichen und wissenschaftlichen Technikdebatten der jüngeren Geschichte, ausgetragen vor allem im Medium der Technikzukünfte in Form von Visionen, Prognosen, Szenarien, kommt es immer wieder zu einer Dualität. Technisierungshoffnungen einerseits (z. B. im Hinblick auf die Überwindung von gesundheitlichen Defiziten oder auf eine nachhaltigere Technik) und Technisierungsbefürchtungen andererseits (wie z. B. Sorgen vor zunehmenden Kontrollmöglichkeiten, Instrumentalisierungen und Autonomieverlusten) prägen das Feld. Mit dem technischen Fortschritt werden weit reichende Hoffnungen, aber auch tief sitzende Befürchtungen verbunden, und zwar häufig beide simultan zu den gleichen technischen Entwicklungen wie z.B. der Nanotechnologie oder der Synthetischen Biologie. Im Vortrag werde ich beide Erzählungen vorstellen: (1) das „helle“ Bild des technischen Fortschritts als einer positiven Vorstellung vom Verlauf der Geschichte, in der die Verfügungsmacht des Menschen immer weiter vergrößert wird und zu seiner weitestgehenden Autonomie führt, und (2) das „dunkle“ Bild, nach dem der technische Fortschritt zwar einige positive Folgen, in der Summe aber hauptsächlich nicht intendierte Nebenfolgen, eine zunehmende Abhängigkeit des Menschen von der Technik und möglicherweise schließlich den vollständigen Kontrollverlust des Menschen über die Technik mit sich bringe. Als Beispiel, dass anhand der gleichen Technologien beiderlei Erzählungen verbreitet werden, dient das Feld der „technischen Verbesserung“ des Menschen (Human Enhancement). Die abschließende These ist, dass diese Technikdebatten in modernen Gesellschaften eine wichtige Funktion in der Selbstverständigung darüber haben, wohin sich die Gesellschaft entwickelt, wie die Verhältnisse von Mensch und Technik bzw. von Mensch und Natur gedacht werden, was in diesen Feldern für die Zukunft erwartet, gewünscht oder befürchtet wird. Technikdebatten haben damit einen primär hermeneutischen und nicht einen prognostischen Charakter.