10 - 2C2 Passionslied III: "O Haupt, voll Blut und Wunden" - Fortsetzung [ID:16419]
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Das Phänomen Paul-Gerhard-Lieder. Noch eine Vorlesung zum Thema Passionslieder.

Wir waren bei Oh Haupt voll Blut und Wunden, dem bekanntesten der Passionslieder

Paul-Gerhard und hatten nur die erste Hälfte der zehn Strophen besprochen

bisher, Strophe eins bis fünf. Wir kommen also zur zweiten Hälfte, Strophe sechs

bis zehn, das ist auf dem handout mit den dreispaltigen Versionen, dann die zweite

Seite, Hymnus und Lied im Vergleich. Ich hatte schon deutlich gemacht, dass die

Gliederung Paul-Gerhards in seiner Liedübertragung dieser lateinischen

Vorlage anders ist als die Vorlage. Die Vorlage hat fünf Doppelstrophen und wir

sind jetzt also in der Mitte von Strophe drei und Paul-Gerhard macht aus fünf

Doppelstrophen zehn Einzelstrophen, macht aber eine Trennung in der Mitte, damit er

fünf plus fünf hat und die Trennung wird sprachlich ganz evident darin, dass

jetzt die Strophe sechs dezidiert beginnt mit ich will. In derselben Strophe, ich

habe es markiert, kommt noch zweimal will ich will ich. Wir kennen dieses ich will

will ich schon vom ersten Passionslied, mein Leben Tage will ich dich aus meinem

Sinn nicht lassen, dieser schönen vierten oder fünften Strophe. Wir kennen es vom

letzten Lied, Oh Welt sie hier dein Leben, wo wir auch diese hälftige

Proportionierung haben von 16 Strophen, acht Strophen, das Sakramentum, acht

Strophen, die Passion als Exemplum, was es für mich bedeutet Christus als Vorbild

zu nehmen mit der Redeform ich will will ich, nun ich kann nicht viel geben aber

will ich tun, ich will es vor Augen setzen und so weiter.

Ich habe extra jetzt unmittelbar vor dieser Vorlesung noch einen weiteren

theologischen Text, den es gibt, zur Kenntnis genommen. Es hat tatsächlich mal

ein systematischer Theologe, Traugert Koch in Hamburg 1991 in Kehr, Rügmar und

Dobmer einen Aufsatz über diese drei Passionslieder veröffentlicht, die ich

jetzt auch bespreche, eben diese drei die im Gesangbuch sind. Ob er auf diese

spezielle Redeform, das ich will eingeht, nein er tut es nicht. Ich habe tatsächlich

in der Literatur noch nirgendwo etwas gefunden, wo jemand sich reflektierend

speziell mit dieser dezidierten Redeform Paul Geherts ich will hier bei dir stehen,

von dir will ich nicht gehen, als dann will ich dich fassen, was ja wirklich ein

sehr dezidiertes Ich will ist, damit auseinandersetzt und dieses theologisch

deutet. Ich sehe, sorry ich, ich sehe das motiviert im Wesentlichen von der Redeform

der Psalmen. Ich hatte ja schon mal darauf hingewiesen, bei dem mein Leben

Tage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen, dass es ja dem Psalmvers gibt,

Psalm 104, Vers 33, ich will dem Herrn singen mein Leben lang und mein Gott

loben, solange ich bin. In meinem Theologiestudium habe ich im Vorlesungen

Altes Testament namentlich über die Psalmen gelernt, dass ein konstitutives

Element der Psalmen, gerade auch der Klagezahlen ist, dieses Gelübde in der

Form ich will. Es gibt auch ein signifikantes Beispiel, schon im Psalm 13,

dem kurzen, knappen und prototypischen Klagezahlen, mein Gott, wie lange willst

du meinen vergessen? Und dieser Psalm endet, der letzte Vers heißt, ich will

dem Herrn singen, dass er sowohl an mir tut.

Der andere prominente Psalm, wo dieses ich will gelübde sehr pointiert

formuliert ist, nämlich indem es auch noch mal wiederholt wird, ist Psalm 116.

Psalm 116 gilt als Musterbeispiel einer sogenannten Toda Psalms. Ein Danksalm

und Toda ist die Erinnerung, das ist ja die typische israelitische Form, sich an

Gott zu wenden, indem man sich erinnert an Zeiten des Unheils, an Zeiten der

Klage und dann wie Gott eine Wende herbeigeführt hat.

Dann kommt die Vertrauensaussage, dass man auf diesen Gott vertrauen kann und

dann das Gelübde, ich will dieses erinnern, ich will meinem Gott danken, solange ich

bin, denn er hat mich aus Not errettet. Also dieses dezidierte ich will scheint mir

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:36:39 Min

Aufnahmedatum

2020-05-20

Hochgeladen am

2020-05-24 13:16:28

Sprache

de-DE

Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II

Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.

Tags

Kirchenmusik
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