21 - 5B3 - "Geh aus, mein Herz und suche Freud" - zu den Melodien [ID:19045]
50 von 250 angezeigt

Geh aus mein Herz und suche Freude. Wie klingt das Lied? Wahrscheinlich haben jetzt alle im Ohr

die Lieder. Wenn das Wort Epidemie nicht derzeit verbrannt wäre, würde ich sagen, das ist die

epidemische Melodie. Für mich persönlich klingt das Lied ganz anders, nehme ich. Geh aus mein Herz

und suche Freude in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben. Das ist nämlich die Melodie,

die zumindest zu meiner Jugendzeit noch in Württemberg gesungen wurde, noch zu Zeiten des

alten Gesangbuchs, also bis in die 90er Jahre. Und die sozusagen württembergische Sondergut ist,

ich komme darauf zurück noch. Unser Günter Balders in der BHA-Gerhardt-Gesellschaft, der Experte für

Anagramme und für vieles andere mehr, hat auch mal für einen Beitrag in unseren Publikationen

recherchiert und alle verfügbaren Melodien zusammengestellt. Er kam auf 40 Stück und in dem Beitrag

sind also 40 unterschiedliche Melodien, geh aus mein Herz, dokumentiert. Das zeigt zum einen, dass

das Lied sehr beliebt ist, denn alle wollen es irgendwie singen, aber es zeigt auch zum anderen,

dass das mit der Melodie bei dem Lied irgendwie ein Problem ist. Also der Fall ist nicht ganz klar.

Von diesen 40 Melodien, die Günter Balders auflistet, sind 15 aus Deutschland als Originalmelodien zu

diesem Lied komponiert. 10 sind Lennmelodien, also dasselbe Versmaß, das von einem anderen Lied her

schon eine Melodie hat, die dann übertragen wird. 6 Schweizer-Varianten speziell hat er noch aufgezählt

und 9 Skandinavische. Die Skandinavier sind ja auch sehr singefreundlich und haben ihre eigene

Singekultur und sind auch sehr pargähard-freundlich. Es gibt eine eigene Rezeptionsschiene in Schweden

namentlich und von daher ist es nicht verwunderlich, dass es auch 9 skandinavische Melodien gibt.

Man kann sich ja fragen, wo wir sonst so dankbar sind für die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken

von Johann Krüger und nachher Johann Georg Eberling und Paul Gerhardt. Warum sind die originalen

Melodiezuweisungen nicht zum Zuge gekommen? Warum singen wir, gehe aus meinem Herz nicht, auf die

Melodivariante, die Johann Krüger bei der Erstveröffentlichung 1653 vorgesehen hat? Ich habe

das im Handout. Das Versmaß des Liedes ist identisch mit einem Lied zum Magnifikat,

den Herren meine See erhebt und den Satz dazu habe ich ihnen sogar kopiert aus der neuen Ausgabe.

Ich spiele gar nicht alles, weil es zeigt sich gleich, dass wir so nicht, gehe aus meinem Herz singen

wollten. Es geht also.

Also da kommen keine sommerlichen Gefühle auf. Was hat sich Krüger dabei gedacht?

Also eine kühne Behauptung wäre, Krüger fand zu diesem Lied eigentlich inhaltlich keine Beziehung

und er hat schlicht nach Verschemer geschaut und es ist eben dasselbe Verschemer, dasselbe Strophenbau.

Es passt also, nimm dieses. Das einzige was, nein ich sage noch was zu dieser Melodie. Es ist ja eine

Melodie oder man muss eigentlich zum ganzen Satz was sagen, deswegen habe ich ihn auch insgesamt

abgedruckt mit den Oberstimmen. Man sieht die Oberstimmen sind sehr aktiv mit Achtel, am Schluss

sogar noch Verzierung. Es ist ein Magnifikat Lied. Das Magnifikat hat einen festen Status im

Vesper Gottesdienst, im sonntäglichen Vesper Gottesdienst. Das Magnifikat ist quasi ein liturgischer

Gesang und zugleich besonders hervorgehoben mit dem Status des festlichen für die Sonntags Vesper.

Und ich sehe in dieser erhabenen Melodieführung mit halben Noten und ganzen quasi den Status liturgisch

erhaben repräsentiert und in den virtuosen Violinstimmen, die ich jetzt da nicht imitieren kann,

den Status des festlichen. Also so kommt dieser Eindruck zustande. Übrigens auch noch am Schluss

und deswegen passt es wirklich überhaupt nicht zu Geh aus mein Herz. Die letzte Zeile, also nach der

letzten Pause liegt sehr tief. Und das ist vom ursprünglichen Magnifikat Text her plausibel.

Der Ichi Armut leide. Das liegt deswegen zu tief. Bei Geh aus mein Herz ist es aber so, dass immer

die Schlusszeile oder dass gerade die Schlusszeile die Porte ist. Also eigentlich müsste die Melodie

zu Geh aus mein Herz gerade am Schluss aufblühen und da ist das mit dieser Melodie einfach wirklich

kontraproduktiv. Das musikalisch spannende an der Melodie ist gleich im ersten Takt.

Diese Rückung mit Leitton von C nach D hier zwar Moll und wir haben das analog nochmal in der vorletzten

Liedzeile. Also das ist am Ende des dritten Systems. Da sogar nach Dur. Ja, wenn man so will,

vielleicht hat sich Krüger dabei gedacht, dass das Geh aus mein Herz und so gefreut, also das Ausgehen

von C gleich in eine andere Dimension da zum Ausdruck kommt. Also ich singe nur den Anfang mit dem

Text Geh aus mein Herz.

Geh aus mein Herz und so gefreut in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Glauben.

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:53:29 Min

Aufnahmedatum

2020-07-01

Hochgeladen am

2020-07-02 22:06:27

Sprache

de-DE

Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II

Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.

Tags

Kirchenmusik
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen