3 - Von der Erfahrung des Heiligen zur Heiligkeit der Erfahrung: Das Konzept der "Reinen Erfahrung" in der Pantschadaschi [ID:2172]
50 von 293 angezeigt

Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Bevor ich auf die Begriffe der Erfahrung und der Sakralität eingehe, werde ich erklären,

was die Panchadaschi ist und wie sie in die indische Kulturgeschichte einzuordnen ist.

Die Panchadaschi ist ein bedeutender religiös-philosophischer Text aus dem Indien des

14. Jahrhunderts. Der Sanskrit-Name Panchadaschi bedeutet einfach die aus 15 Kapiteln bestehende.

Pancha heißt fünf und ist mit dem griechischen pente verwandt. Dasha heißt zehn und ist verwandt

mit griechisch deka. Also wer die alten europäischen Sprachen kann, kann eigentlich auch schon Sanskrit.

Der Text ist in Sanskrit verfasst und wurde bereits im 19. Jahrhundert ins Englische übersetzt. Aber

keine der Übersetzungen lässt ein historisch-philologisches Interesse erkennen. Die

Übersetzungen wurden vielmehr von Apologeten, einer gegenwärtigen reformierten Form der in

der Panchadaschi gelehrten Philosophie verfasst. So geht oft das gerade für diesen Text spezifische

verloren, da die Unterschiede zur gegenwärtig dominierenden Form dieser Philosophie in der

Übersetzung verschleiert werden. Obwohl die Panchadaschi also noch in der Gegenwart populär ist,

gibt es über sie bisher fast keine wissenschaftlichen Studien. Meine Darstellung

der Panchadaschi beruht daher fast ausschließlich auf einem intensiven Studium des Textes, von dem

es leider auch noch keine kritischen Ausgaben gibt. Es ist nicht sicher, wer der Verfasser der

Panchadaschi ist. Wahrscheinlich war einer der beiden Autoren Vidyaranya, Mönch und späterer

Arbt des Klosters Sringeri, ein bedeutendes intellektuelles Zentrum in Südindien. Auf diese

historischen Umstände werde ich später näher eingehen. Die Panchadaschi gehört zu der indischen

philosophisch-religiösen Tradition, die Advaita Vedanta genannt wird. Das A in Advaita ist die

auch aus europäischen Sprachen bekannte Negation. Advaita bedeutet Dualität oder Zweihheit und ist

mit diesen Wörtern auch verwandt. Advaita heißt nicht dualistisch. Vedanta heißt das Ende der

Veden und bezeichnet den historisch letzten Teil der Veden, dem Hinduismus als Offenbarung

geltenden Texte und die philosophisch-religiösen Schulen, die diese Schriften interpretieren.

Der gesamte Ausdruck Advaita Vedanta ist der Name der philosophisch-religiösen Tradition,

die den metaphysischen Teil der Heiligen Offenbarung des Veder nicht dualistisch interpretiert.

So viel zu dem Begriff. Jetzt kurz zur Geschichte. Das Advaita Vedanta, die im Hinduismus als ewig

geltenden Veden entstanden, historisch gesehen zwischen 1500 und 500 vor unserer Zeitrechnung.

Die spätere Tradition teilt die vedische Literatur in zwei Hälften. Einen älteren Teil, der die

heiligen Sprüche und Anweisungen für die vedischen Rituale enthält, von denen manche noch in der

Gegenwart durchgeführt werden, und den erwähnten jüngeren Teil, der sich mit der philosophisch-mystischen

Deutung der Welt beschäftigt, die Upanishaden. Der ältere Teil der vedischen Literatur besteht

aus Götterhymnen, Ritualsprüchen und deren Interpretation. Die Upanishaden dagegen enthalten

vielfältige Spekulationen über den einen Urgrund der Welt. Dieses eine, das sich selbst zur Welt

entfaltet, wird als Brachmann bezeichnet und vielfältig bestimmt als seiend Wahrheit, Fülle,

Wonne und so weiter. Die für die spätere Entwicklung der indischen Philosophie bis in die

Gegenwart bedeutendste Lehre der Upanishaden ist die Gleichsetzung des Brachmann, also des kosmischen

Urgrundes, mit dem Selbst, Atman, dem innersten Kern in allen Wesen. Also die Gleichsetzung von

Brachmann und Atman, kosmischer Urgrund und der selbst in allen Wesen. Die Vedanta genannte

philosophische Tradition versucht, die auf widersprüchlich erscheinenden Lehren der

Upanishaden so zu interpretieren, dass sich eine einheitliche, konsistente Lehre ergibt,

die auch nicht im Widerspruch zur Erfahrung oder Vernunft steht. Es haben sich mehrere

voneinander deutlich verschiedene Traditionen des Vedanta entwickelt. Manche von ihnen, etwa ab dem

Jahrtausend unserer Zeitrechnung, interpretieren die Lehre der Upanishaden als einen Monotheismus.

Für sie ist beispielsweise der Gott Vishnu, der eine allmächtige und allwissende Gott,

der die Welt erschaffen hat, sie lenkt und von dem man die Erlösung erhofft. Die hier behandelte

Richtung des Vedanta dagegen versucht zu beweisen, dass alle Upanishaden die absolute Einheit von

kosmischem Urgrund, Brachmann und dem innersten Kern der individuellen Wesen, Atman, lehrt. Die

höchste Wirklichkeit ist hier nicht der persönliche Gott, sondern das eine unpersönliche und

eigenschaftslose, seyende und bewusste. Da es hier neben dem einen Seyenden nichts Zweites gibt,

Presenters

Dr. Matthias Ahlborn Dr. Matthias Ahlborn

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:38:50 Min

Aufnahmedatum

2012-05-02

Hochgeladen am

2012-05-11 10:26:41

Sprache

de-DE

Die Pantschadaschi (Pañcadaśī) ist ein bedeutender religiös-philosophischer Text des indischen Mittelalters (14.Jahrhundert). Er gehört zur Tradition des nicht-dualistischen Vedanta (Advaitavedānta). Diese Tradition beginnt mit den Upanischaden und ist noch in der Gegenwart lebendig, sowohl in traditioneller als auch in reformierten Formen.

Die Metaphysik des bisher wenig erforschten mittelalterlichen Advaitavedanta besagt im Wesentlichen folgendes: Es existiert letztendlich nur die eine höhere, absolute Wirklichkeit (das Brahman); alles andere, die Vielheit der Welt und der Seelen, ist nur eine illusionäre Erscheinung dieser einen Wirklichkeit. Durch Erkennen dieser metaphysischen Wahrheit erlangt die im Kreislauf der Wiedergeburten gefangene Individualseele Befreiung.

In der Pantschadaschi werden verschiedene Weisen beschrieben, wie eine Einzelwesen diese eine Wirklichkeit unmittelbar wahrnehmen kann. Dass ein Einzelwesen, das ja selbst nur eine Illusion ist, das Absolute erfahren kann, ist paradox.

Aber gerade in einer solchen Paradoxie gründet die Heiligkeit eines Lebend-Erlösten.

Tags

Sakral
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen