4 - Gut oder nützlich? Dilemmata in der Wissenschaftsethik [ID:5405]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Dr. Rudolf Kötter ist Geschäftsführer des Zentralinstituts für angewandte Ethik- und Wissenschaftskommunikation,

der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften und in der angewandten Ethik.

Meine Damen und Herren, das Wort Wissenschaftsetik werden die meisten Menschen heute in Verbindung bringen mit Fällen von Plagiaten und Fälschungen in den Wissenschaften, von denen es ja in letzter Zeit reichlich gab.

Die Wahrnehmung dieser Fälle als Skandale ergibt sich dabei aus der Überzeugung, dass solche Fälle dem Gebot wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit zuwiderlaufen würden.

Dieses Gebot kann man in erster Näherung durch ein paar Imperative konkretisieren.

Manipuliere keine Daten, nenne deine Quellen, stelle dich kritischen Einwänden, enthalte dich sachfremder Urteile.

Imperative dieser Art bestimmen das Verhalten eines Menschen in einer bestimmten Rolle, zum Beispiel in der Rolle als Richter oder als Arzt oder eben als Wissenschaftler,

und ihre Gesamtheit wird als Ethos bezeichnet.

Das Wissenschaftler Ethos legt also fest, wie ein Angehöriger dieses Standes sich auf vortreffliche Weise zu verhalten hat.

Ethos ist nun nicht gleich Ethik.

Die Ethik ist eine allgemeine Theorie des moralischen Argumentierens und untersucht Fragen, wie moralische Urteile formuliert und begründet werden können bzw. müssen.

Entsprechend ist die Wissenschaftsethik eine spezielle ethische Theorie, die nach Begründungsformen für einen Wissenschaftler Ethos sucht.

Als Begründungsbasis dient dabei die Aufgabenstellung der Wissenschaften in und für die Gesellschaft.

Kennt man die Aufgaben der Wissenschaft, dann lässt sich relativ dazu begründen, welche Einstellungen und Haltungen ein Wissenschaftler mitbringen muss, um den Anforderungen seiner Zunft gerecht zu werden.

Nun gibt es nicht die Wissenschaft neben den Wissenschaften.

Konkret begegnen wir immer nur den Einzelwissenschaften, spricht man von der Wissenschaft und dem Wissenschaftler Ethos,

so meint man damit ein Abstraktum, das sich als eine Zusammenfassung von Merkmalen ergibt, die allen Wissenschaften gemeinsam sind.

Die wesentliche Gemeinsamkeit aller Wissenschaften liegt nun in ihrem diskursiven Charakter, das heißt in jeder Wissenschaft geht es darum,

auf kontrollierbare Weise Behauptungen aufzustellen, sie zu kritisieren und sie gegen Kritik zu verteidigen.

Was einen solchen Prozess erfolgreich durchlaufen hat, wird in den Wissensbestand einer Disziplin eingefügt, bewahrt und tradiert.

Die Regeln, nach denen Behauptungen gewonnen, kritisiert und verteidigt werden, sind in den fachspezifischen Methodologien zusammengefasst.

In der Wissenschaftstheorie spricht man hier in Anlehnung an Imre Lakatosch von einem Forschungsprogramm.

Das Forschungsprogramm regelt das Verhältnis von Theorie zu Modell, von Modell zu Hypothese, von Hypothese zu empirischem Befund,

von Text zu Interpretation, von historischer Quelle und ihrer Bewertung und steuert damit die fachspezifischen Diskurse.

Seit Jahrhunderten hat man in unserem Kulturraum aber nicht nur Forschungsprogramme entwickelt,

sondern darüber hinaus auch Institutionen wie Universitäten und Akademien geschaffen,

die methodisch erworbenes Wissen vermitteln und in deren Rahmen neues Wissen forschend produziert werden sollen.

Das heißt, die Wissenschaften haben nicht nur ein methodologisches, sondern immer auch ein institutionelles Fundament.

Was macht die Wissenschaften so wichtig für die Menschen?

Kraft seiner besonderen argumentativen Qualität bildet wissenschaftliches Wissen das wichtigste Reservoir für gute Gründe,

die ein freier und vernünftiger Mensch seinem Handeln zugrunde liegen sollte.

Dies entspricht der Idee der Aufklärung, die in der Antike geboren wurde und die von vielen Menschen bis heute verteidigt wird.

Dabei leistet Wissenschaft viel mehr als nur den Raum, an technischen Handlungsoptionen zu erweitern.

Sie stiftet darüber hinaus ein Verständnis von der Welt, vom Menschen und von der Rolle, die der Mensch in der Welt einnimmt

und vermittelt damit ein Orientierungs- und Bildungswissen.

Entscheidend ist, dass dieses Verständnis diskursiv und kritikzugänglich entwickelt wird

und sich damit fundamental von religiösen oder mythischen, in jedem Fall dogmatischen Welt- und Menschenbildern unterscheidet.

So, meine Damen und Herren, stellt sich Wissenschaft jedenfalls aus der Sicht des Philosophen dar,

der in erster Linie an den abstrakten Argumentationsstrukturen interessiert ist, die das Wesen jeder Wissenschaft ausmachen.

Im Kontrast dazu steht die Sicht des Fachwissenschaftlers,

der die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft allein über die Methodologie seines Faches erfährt

und deshalb manchmal schon Schwierigkeiten hat, das Vorgehen in benachbarten Disziplinen als wissenschaftlich zu erkennen.

Aus beiden Perspektiven ist jedoch es offensichtlich, dass ein Wissenschaftler das Gebot der Wahrhaftigkeit verinnerlicht haben muss,

um den Anforderungen des wissenschaftlichen Diskurses im Allgemeinen wie im Besonderen gerecht zu werden.

Ein großer Begründungsbedarf scheint an dieser Stelle nicht gefordert zu sein

und damit auch nicht unbedingt eine eigene Disziplin Wissenschaftsethik.

Plagiate und Fälschungen stellen die trivialen Fälle dar, zu deren Diagnose in jedem Fall wissenschaftlicher,

aber nicht unbedingt wissenschaftsethischer Sachverstand erforderlich ist.

Presenters

Dr. Rudolf Kötter Dr. Rudolf Kötter

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:48:03 Min

Aufnahmedatum

2014-11-19

Hochgeladen am

2015-10-05 14:47:34

Sprache

de-DE

Bis in die 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war das Wissenschaftler-Ethos bestimmt durch die Gebote der Wahrhaftigkeit, der Redlichkeit (oder Recht­schaffenheit) und der Vertrauenswürdigkeit. Im Zuge der zunehmenden Ökono­misierung der Wissenschaften muss sich Wissenschaft heute nicht nur inhaltlich als „gut“, sondern darüber hinaus auch als „nützlich“ erweisen. Dies hat Konsequenzen für das Wissenschaftler-Ethos, da der Wissenschaftler jetzt nicht nur gute wissenschaftliche Arbeit leisten, sondern auch in Konkurrenz zu Anderen Akzeptanz für seine Arbeit schaffen muss (Wissenschaftsmarketing). Die Forderung nach Redlichkeit verträgt sich nicht immer mit der Forderung nach einem geschickten Wissenschaftsmarketing. Ein Ethos, das verlangt, verschiedenen Rollen gerecht zu werden, kann also in Dilemma-Situationen führen, die schwierig aufzulösen sind.

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