4 - Internationales Kolleg: Schicksal, Freiheit und Prognose [ID:703]
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Meine Damen und Herren, der Satz Arthur Schopenhauers,

das einzig beständige ist der Wandel, gehört seit Langem zum Repertoire

unserer individuellen und kollektiven Befindlichkeit.

Arbeitsmarkttheoretiker haben ihn als Ermunterung für Arbeitnehmer

genutzt, sich keine Hoffnung mehr auf einen einzigen Arbeitsplatz

auf Lebenszeit zu machen.

Pädagogen leiten daraus die Idee vom lebenslangen Lernen ab.

Kommunikationstheoretiker verweisen auf den Umstand,

dass das Telefon von dem Moment seiner Erfindung ausgerechnet

noch 55 Jahre brauchte, um von 50 Millionen Menschen

genutzt zu werden, das Fernsehen dagegen 13 Jahre

und das Internet lediglich drei Jahre.

Umwelttheoretiker haben andere Zahlen bereit und ähnliche Zahlen,

um uns zu zeigen, dass das sich stetig beschleunigende Tempo

der Umweltveränderung eine ebenso stetig beschleunigte Anpassung

erfordert.

Doch was da im Wesentlichen unter dem Begriff des Wandels gedacht wird,

ist die Vorstellung von einem Strukturwandel,

der einem bestimmten Trend folgt.

Daten über einen Ist-Zustand werden fortgeschrieben,

sie werden extra poliert.

Zum Teil geschieht dies, und das räume ich gerne ein,

in Gestalt höchst komplizierter Kurven.

Doch bleibt die Idee der Fortschreibung eines beobachteten Trends ganz zentral.

Trotz ungeheuerlicher Einbrüche in die Kontinuität in Form von Kriegen,

Verfolgungen und Großkatastrophen scheint das Konzept des Trends

ein unerschütterlicher Bestandteil der Prognose in der abendländischen

Zivilisation geblieben zu sein.

Trotz aller Rückschläge hat die Idee des Fortschritts und des Wachstums

offenbar einen starken Einfluss auf unser Verständnis von Zukunft

ausgeübt.

Das mag auch mit ein Grund dafür sein, dass in der unmittelbaren Gegenwart

der Wirtschaftskrise die Prognosen entweder ständig korrigiert

oder gar nicht mehr gewagt werden.

Die Nachrichten über Firmen, die keine Prognose mehr zu äußern wagen,

wenn ich zitiere, die Entwicklung von den Anfangsbedingungen erheblich abweicht

– so etwas hören Sie derzeit täglich im Radio.

Wir haben diesen Antrag noch vor dem Zusammenbruch der Lehman Brothers

– ich halte das für einen Beweis für die intuitive Kraft der

Geisteswissenschaften –, dass wir in der Tat die Prognose ins Zentrum

unserer Überlegungen gestellt haben.

Ein Blick auf die jüngere kulturvergleichende psychologische

Forschung legt nahe, dass unsere Art und Weise, mit Prognose umzugehen,

wie ich sie gerade geschildert habe, eventuell kulturabhängig ist.

Vor einigen Jahren führten Richard Nesbitt von der Universität Michigan

und Su Yandjie von der Universität Peking unter dem Titel

Culture, Change and Prediction in den USA und in China gleichzeitig

eine Untersuchung durch, in der chinesische und amerikanische

Sichtweisen des Wandels analysiert wurden.

Die Probanden zeigten durchweg dramatische Unterschiede in ihrer

Teil einer Videoserie :

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:53:26 Min

Aufnahmedatum

2010-01-14

Hochgeladen am

2011-04-11 13:53:27

Sprache

de-DE

Der Vortrag stellt die wesentlichen Vorhaben des Erlanger Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung vor: welche unterschiedlichen Einstellungen zum Wandel und zur Zukunftsbewältigung gibt es in China und Europa in Vergangenheit und Gegenwart? Wie werden Prognosen erstellt und für welche Bereiche können Vorhersagen Geltung beanspruchen? Sind Individuen und Kollektive dem Schicksal unterworfen oder kann man mit der Zukunft "verhandeln"? Und daher schließlich: Wie ist in den unterschiedlichen Zivilisationen die Freiheit gedacht worden als Freiheit "von" bestimmten Zwängen oder als Freiheit "zu" bestimmten Handlungen? Zahlreiche Beispiele aus Chinas Tradition und Gegenwart werden in punktuellen vergleichen der europäischen Erfahrung gegenübergestellt werden.
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