Meine Damen und Herren, der Satz Arthur Schopenhauers,
das einzig beständige ist der Wandel, gehört seit Langem zum Repertoire
unserer individuellen und kollektiven Befindlichkeit.
Arbeitsmarkttheoretiker haben ihn als Ermunterung für Arbeitnehmer
genutzt, sich keine Hoffnung mehr auf einen einzigen Arbeitsplatz
auf Lebenszeit zu machen.
Pädagogen leiten daraus die Idee vom lebenslangen Lernen ab.
Kommunikationstheoretiker verweisen auf den Umstand,
dass das Telefon von dem Moment seiner Erfindung ausgerechnet
noch 55 Jahre brauchte, um von 50 Millionen Menschen
genutzt zu werden, das Fernsehen dagegen 13 Jahre
und das Internet lediglich drei Jahre.
Umwelttheoretiker haben andere Zahlen bereit und ähnliche Zahlen,
um uns zu zeigen, dass das sich stetig beschleunigende Tempo
der Umweltveränderung eine ebenso stetig beschleunigte Anpassung
erfordert.
Doch was da im Wesentlichen unter dem Begriff des Wandels gedacht wird,
ist die Vorstellung von einem Strukturwandel,
der einem bestimmten Trend folgt.
Daten über einen Ist-Zustand werden fortgeschrieben,
sie werden extra poliert.
Zum Teil geschieht dies, und das räume ich gerne ein,
in Gestalt höchst komplizierter Kurven.
Doch bleibt die Idee der Fortschreibung eines beobachteten Trends ganz zentral.
Trotz ungeheuerlicher Einbrüche in die Kontinuität in Form von Kriegen,
Verfolgungen und Großkatastrophen scheint das Konzept des Trends
ein unerschütterlicher Bestandteil der Prognose in der abendländischen
Zivilisation geblieben zu sein.
Trotz aller Rückschläge hat die Idee des Fortschritts und des Wachstums
offenbar einen starken Einfluss auf unser Verständnis von Zukunft
ausgeübt.
Das mag auch mit ein Grund dafür sein, dass in der unmittelbaren Gegenwart
der Wirtschaftskrise die Prognosen entweder ständig korrigiert
oder gar nicht mehr gewagt werden.
Die Nachrichten über Firmen, die keine Prognose mehr zu äußern wagen,
wenn ich zitiere, die Entwicklung von den Anfangsbedingungen erheblich abweicht
– so etwas hören Sie derzeit täglich im Radio.
Wir haben diesen Antrag noch vor dem Zusammenbruch der Lehman Brothers
– ich halte das für einen Beweis für die intuitive Kraft der
Geisteswissenschaften –, dass wir in der Tat die Prognose ins Zentrum
unserer Überlegungen gestellt haben.
Ein Blick auf die jüngere kulturvergleichende psychologische
Forschung legt nahe, dass unsere Art und Weise, mit Prognose umzugehen,
wie ich sie gerade geschildert habe, eventuell kulturabhängig ist.
Vor einigen Jahren führten Richard Nesbitt von der Universität Michigan
und Su Yandjie von der Universität Peking unter dem Titel
Culture, Change and Prediction in den USA und in China gleichzeitig
eine Untersuchung durch, in der chinesische und amerikanische
Sichtweisen des Wandels analysiert wurden.
Die Probanden zeigten durchweg dramatische Unterschiede in ihrer
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:53:26 Min
Aufnahmedatum
2010-01-14
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:27
Sprache
de-DE