Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Peter Darbrock ist Professor für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
und ferner Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Seine Schwerpunkte sind bio- und medizinethische sowie gerechtigkeitstheoretische Fragen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie zur letzten Veranstaltung im Rahmen der Vorlesungsreihe der Universität,
wenn Theorie und Praxis sich begegnen, aktuelle Kontroversen der angewandten Ethik hier in das Schloss der Universität Erlangen gekommen sind.
Da fügt es sich, wenn dieser Vorlesungsreihe in seinem Ende entgegengeht, dass wir in einer wissenschaftlichen Veranstaltung
die Wissenschaft selber zum Thema machen. Und dies zum Thema machen in einer öffentlichen Veranstaltung.
Im Befolge digitaler Kommunikationen, vor allen Dingen via soziale Netzwerke, bricht sich in den letzten Jahren ein Trend-Bahn,
den man in Deutsch als Bürgerbeteiligung der Wissenschaft bezeichnen kann und der im Englischen den schillernden Titel Citizen Science erhalten hat.
Aber dieser breite Trend, der allgemein in partizipative Trends in der Gesellschaft einzuordnen ist, hat nicht nur Befürworter gefunden,
sondern auch Gegner. Ihm wird mit großer Skepsis begegnet.
Und diese Debatte um Citizen Science als einen möglichen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft wollen wir uns heute zuwenden.
Wir wollen das tun, indem wir zum einen die dahinterliegende Problematik differenziert in den Blick nehmen,
indem wir zum anderen das Ganze an einem konkreten Beispiel erläutern, an dem wir uns in unserer Arbeit am Lehrstuhl nun schon seit einigen Jahren beteiligen,
nämlich der Brustkrebsforschung.
Nun, wenn man in einer Veranstaltung über Bürgerbeteiligung in der Wissenschaft nachdenkt, dann sollte man nicht, um nicht in einen performativen Widerspruch zu geraten,
einfach nur frontal vor dem Publikum sprechen, sondern mit den Mitbürgern zu diesem Thema zunächst auch in ein Gespräch kommen.
Und deswegen meine initiale Frage an Sie, wie Sie die Frage unseres Vortrags, die Titelfrage unseres Vortrages jetzt spontan am Anfang einordnen würden.
Braucht Wissenschaft eigentlich Bürgerbeteiligung?
Mein Name ist Philipp Schrögel, ich forsche auch in diesem Themengebiet, deswegen spreche ich jetzt hier nicht als kompletter Laie, aber aus meiner Sicht würde ich das definitiv bejahen.
Und ich denke, am besten kann man das mit dem doch wohl bekannten Dürrenmatt-Zitat aus den Physikern belegen, was alle angeht, kann auch nur von allen gelöst werden.
Und deswegen ist sehr wohl Platz für Fachexpertise, aber es gibt mehr als Fachexpertise, es gibt Interessen und Werte, und spätestens da ist Bürgerbeteiligung aus meiner Sicht dringend geboten.
Vielen Dank für die Erinnerung an ein sehr wichtiges schönes Zitat. Vielen Dank.
Mein Name ist Dietrich Leipoldz, ich bin Pfarrer im Ruhestand und ich frage mich, eigentlich müssten ja hier Frauen da sein, die Brustkrebs hatten.
Also, dass wirklich nicht nur Sie oder wir etwas sagen, sondern dass auch Personen, die davon wirklich betroffen werden, sich äußern könnten.
Also die Frage, wer ist eigentlich hier ein Beteiligter?
Ja, ich wollte nur vielleicht die skeptische Position einwerfen, dass ich immer so ein bisschen die Furcht habe, dass bei Bürgerbeteiligung auch die wissenschaftlichen Standards vielleicht nicht so eingehalten werden und das dann zum Problem werden könnte.
Ja, das ist eine, da werde ich gleich auch nochmal drauf eingehen, aus der Wissenschaft mehrfach und auch prominent vorangebrachte kritische Äußerung.
Mein Name ist Ruhreuf Kötter, ich denke, Wissenschaft hat zwei Aspekte, der eine Aspekt ist der, kurz gesprochen Wahrheit und Richtigkeit, also des methodischen Vorgehens.
Bei diesem Aspekt wird die Bürgerbeteiligung weniger helfen können, aber es gibt auch dann immer noch einen anderen Aspekt, der mit jeder Wissenschaft verbunden ist, die Frage, was ist eigentlich interessant, was ist wichtig, was hat einen Beitrag zum Verfügungswissen, aber auch zu unserem Wissen von der Welt, also unserem Orientierungswissen.
Und bei diesem Aspekt glaube ich, ist es sinnvoll, die Bürger zu beteiligen, das ist der Teil an Wissenschaft, der dann auch in die Bildung der Menschen eingeht und der ihnen dann auch gelegentlich aktuell nützlich sein kann.
Vielen Dank.
Also wenn ich mir die vier Bilder so anschaue, die ja ein bisschen als Teaser sozusagen gemeint sind, finde ich, kann man zumindest an dem Rechten ja deutlich sehen, dass die Frage nicht nur ist, ob Wissenschaft Bürgerbeteiligung braucht, in dem Sinne, ob die Wissenschaft das Sagen anerkennt, sondern sie ist in manchen Punkten zumindest auch schlichtweg mit einer auch ungefragten Bürgerbeteiligung konfrontiert, die natürlich jetzt hier in diesem Falle, wenn es dort um grüne Gentechnik geht, natürlich auch die Wissenschaft, beziehungsweise die Möglichkeit, Wissenschaft in diesem Bereich zu betreiben, sehr stark
beschränkt oder beeinflusst. Und insofern würde ich sagen, hat das Thema sozusagen auch nur diesen Aspekt doch zu schauen, wo Bürger sozusagen diese Beteiligung auch ohne, dass sie dazu eingeladen sind, tatsächlich, ich sag mal freundlich anbieten.
Also die Konfrontation mit den Bürgern.
Ja, vielen herzlichen Dank. Ich finde, das sind sehr interessante, facettenreiche Gesichtspunkte der Fragestellung braucht Wissenschaft Bürgerbeteiligung gewesen, angefangen von dem Dürrmatt Zitat bis hin zur Frage der Konfrontation der Wissenschaft schlicht und einfach mit Bürgerinteressen,
der Dialektik zwischen Wahrheit und Interesse, zwischen Verfügung und Orientierungswissen, eine gleichzeitig Furcht, dass durch die Berücksichtigung all dessen, was jetzt gerade genannt worden ist, die systemische Sonderheit wissenschaftlichen Wissens gefährdet werden könnten und dadurch bestimmte Standards abgesenkt werden könnten.
Und genau in diesem Sinne haben wir in 2014 eine Konfrontation zwischen zwei sehr bekannten Wissenschaftlern erfahren und die steht beispielhaft für die Spannungen, die jetzt ja auch gerade hier unter Ihnen geäußert worden sind,
wie Bürgerbeteiligung und Wissenschaft zusammenzudenken sind.
Auf dem Leibniz-Tag der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft hat deren Präsident in seinem Jahresbericht, Herr Stock, am Ende seines Vortrages ein emphatisches Plädoyer gegen eine Beteiligung von Partikularinteressen,
wie er es genannt hatte, im wissenschaftlichen Prozess gewarnt und darin eine Gefährdung, wie gerade einmal bereits geäußert, der Standards der Wissenschaft gesehen.
Ja, er ging sogar so weit, diese Einflussnahme von Partikularinteressen gegenüber der Wissenschaft zu vergleichen, wie er es dann nannte, mit zwei Situationen, wie wir sie in Deutschland im vergangenen Jahrhundert bereits gehabt haben,
worauf er eben auf die Effekte von seiner Auffassung nach Wissenschaftseinflussnahme im Zusammenhang des ersten Weltkrieges und eben im dritten Reich und im zweiten Weltkrieg eingegangen ist.
Diese Äußerung ist von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dann unter die schlachkräftige Überschrift zusammengefasst.
Avanti dilettanti, Fragezeichen, aber ich glaube, es ist ein rhetorisches Fragezeichen gewesen, blieb natürlich nicht unwidersprochen.
Und der Direktor des Wuppertal Institutes, das sich ja mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigt, der Kollege Schneidewind hat gegen diesen, aus seiner Auffassung nach puristischen Anspruch von Wissenschaft,
mit der Gegenemphase geantwortet, die Wissenschaft braucht mehr Demokratie.
In jedem Fall ist das System der Wissenschaft herausgefordert durch Bürgerbeteiligung. Das System der Wissenschaft, das der Präsident Stock gefährdet sieht, das geprägt ist oft durch institutionelle Durchführung,
also Universitäten oder Unternehmen mit entsprechenden Labortätigkeiten, eine Durchführung von Wissenschaft, die in der Regel qualifikationsbasiert vonstatten geht,
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:57:06 Min
Aufnahmedatum
2014-12-03
Hochgeladen am
2015-10-01 10:17:14
Sprache
de-DE
Bürgerbeteiligung an und in den Wissenschaften ist gesellschaftlich und politisch erwünscht. So hat beispielsweise die Bundesregierung in ihren geltenden Koalitionsvertrag das Ziel aufgenommen, „Bürgerinnen und Bürger und die Akteure der Zivilgesellschaft konsequent in die Diskussion um Zukunftsprojekte und die Ausgestaltung von Forschungsagenden ein[zu]binden [und] neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation [zu] entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammen[zu]führen“. Wissenschaft braucht Bürgerbeteiligung will sie ihre Legitimität als ein gesellschaftlich legitimiertes Teilsystem nicht aufs Spiel setzen. So die eine Seite. Bürgerbeteiligung in und an der Wissenschaft beinhaltet die Gefahr, dass die bewährten Standards guter wissenschaftlicher Praxis unterhöhlt werden könnten und über eine solche Öffnung der Wissenschaft noch stärker partikulare Interessen ein größeres Gewicht bekommen könnten. So die andere Seite. Anhand einer Analyse der aktuellen Entwicklungen in der Brustkrebsforschung, in deren Kontext diese Fragen unmittelbare Praxisrelevanz haben, untersucht Prof. Dr. Peter Dabrock in seinem Vortrag, in welchem Maße aktuelle Forschungsansätze in der Krebsforschung auf Bürgerbeteiligung angewiesen sind und welche Rückwirkungen sich hieraus für die Standards der wissenschaftlichen Praxis ergeben.