Ein schönen guten Morgen. Ich darf Sie zu einer weiteren Sitzung Europarecht begrüßen.
Wir haben ja in den letzten drei Wochen schon allerhand Stoff bewältigt. Wir haben uns vor
allen Dingen in der letzten und vorletzten Woche eben mit der Frage beschäftigt, mit welchem
Rang und welcher Wirkung, auf welchem Rang, auf welcher Rangstufe wirkt das Europarecht
eigentlich in der innerstaatlichen Rechtsordnung. Sie erinnern sich, wir haben zunächst die Frage
gestellt, können sich Individuen überhaupt auf einen zwischenstaatlichen Vertrag wie den
damaligen EWG-Vertrag berufen. Der EGH hat gesagt, ja in der Entscheidung fangen denn los. Dann
stellte sich die nächste Frage, wirkt das Europarecht denn auch vorrangig gegenüber dem
nationalen Recht. Nur dann ist die unmittelbare Wirksamkeit, die Möglichkeit sich unmittelbar
auf Europarecht zu berufen, ja nur praktisch relevant, wenn sich das Europarecht auch im
Rangverhältnis gegenüber nationalem Recht durchsetzen kann. Entscheidung Costa Enel. Das
waren Entscheidungen, die sich auf das Primärrecht bezogen haben, also auf den EUV, jedenfalls wie
er heute ist, damals noch EWG-Vertrag. Damit war die Frage geklärt, zumindest aus Sicht des EGH,
wie denn das Primärrecht wirkt. Wir haben in der letzten Sitzung uns dann mit der deutlich
komplizierteren Frage beschäftigt, wie wirkt eigentlich das Sekundärrecht, wie wirken insbesondere
Richtlinien, von denen der Vertrag ja eigentlich annimmt, dass sie gar nicht unmittelbar wirken
sollen, sondern dass sie nur verbindlich bezüglich ihres Ziels sind und den Mitgliedstaaten die
Möglichkeit lassen, die Richtlinie noch in nationales Recht umzusetzen. Wir haben gesehen,
dass auch hier der EGH in einer langen Linie von Rechtsprechung entwickelt hat, dass jedenfalls
im Verhältnis zwischen Staat und Individuum, also in der vertikalen Wirkung, wir von einer
Direktwirkung ausgehen, der EGH von einer Direktwirkung ausgeht, mit dem Argument,
der Mitgliedstaat, der sich europarechtswidrig verhalten hat, weil er die Richtlinie nicht
umgesetzt hat, kann sich nicht auf sein eigenes rechtswidriges Verhalten gegenüber dem Bürger
berufen. Das gilt allerdings nur, soweit der Bürger eben die Bürgerin aus der Richtlinie ein Recht
geltend macht, nicht wenn die Richtlinie den Bürger oder die Bürgerin verpflichten soll. Also der
Staat kann sich nicht sozusagen auf sein eigenes Unrecht berufen, wenn er vom Bürger eine Pflicht
verlangt. Und schließlich haben wir auch gesehen, dass eben keine unmittelbare Direktunterdrittwirkung
im horizontalen Verhältnis, also im Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern besteht.
Wir haben dann gesehen, dass gewissermaßen diese Entwicklung, diese unmittelbare Wirksamkeitsrechtsprechung
natürlich nur dann praktisch sinnvoll ist, wenn die Richtlinie auch ein Recht vermittelt,
auf das sich der Einzelne berufen kann, dass es aber durchaus Fälle geben kann, in denen eben das
nicht der Fall ist und sich dann die Frage stellt, ob wenigstens dann in einem solchen Fall möglicherweise
ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden kann, das Stichwort Amtshaftung, das heißt also
die Haftung des Mitgliedstaates dafür, dass er eben hier Europa-Recht nicht umgesetzt hat,
dass er eben seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Eine lange gewissermaßen eine
lange Linie von Rechtsprechung, die beginnt eben mit der allerersten Entscheidung von Gent entlos
und die sich fortsetzt bis eben hin zu der Frage, ob eben ein Staatshaftungsanspruch gegeben sein kann.
Alles das war gewissermaßen die Frage, wie wirkt das Europa-Recht, welche Wirkungen hat es,
auf welcher Rang-Ebene wirkt es aus der Perspektive des Europa-Rechts, beziehungsweise konkretisiert,
aus der Perspektive des EuGH. Wir haben dann natürlich gesehen oder haben in der vorletzten Woche
schon darüber gesprochen, dass die Frage natürlich immer doppelt zu stellen ist. Wir haben es mit zwei
Rechtsordnungen zu tun, das heißt also auch wenn in der einen, in der europarechtlichen Rechtsordnung
diese ganzen Fragen eben entsprechend vom EuGH entwickelt und entschieden werden, heißt es noch
lange nicht, dass sie gewissermaßen auf der anderen Seite, nämlich in der innerstaatlichen
Rechtsordnung auch genau so ankommen. Das ist ja das Besondere am Europarecht, das ist jedenfalls
von der Genese her erstmal eine andere Rechtsordnung ist als die innerstaatliche Rechtsordnung. Das heißt also
wir müssen uns jetzt heute und in der nächsten Sitzung, also übermorgen fragen, wie hat eigentlich
oder wie wird eigentlich die Frage von Rang und Wirkung des Europa-Rechts aus Sicht des Grundgesetzes
gelöst und an dieser Stelle erweist es sich als praktisch und hilfreich, dass wir alle keine
besonderen Textsammlungen zum Europa-Recht angeschafft haben, sondern auf unsere allgemeinen
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:25:54 Min
Aufnahmedatum
2015-11-03
Hochgeladen am
2015-11-03 11:24:26
Sprache
de-DE
Die Vorlesung behandelt die Grundstrukturen des institutionellen und materiellen Unionsrechts einschließlich der Grundfreiheiten. Gegenstand der Veranstaltung sind jene Teile des Europarechts, die zum Pflichtstoff des Ersten Juristischen Examens zählen.