So wir machen weiter mit unserem Lied Oh Welt, Sie hier dein Leben. Wir waren in der Besprechung
bis Strophe 5 gekommen. Die Strophen 3, 4 und 5 als Reflexion über die Ursache des Leidens,
mit der Schuldthematik der Schuldlose am Kreuz, direkt das was meine Sünde ist und ich bekenne
meine Schuld. Jetzt kommen noch mal zwei Strophens, sorry drei Strophen, also es sind zweimal drei
Strophen, 6, 7 und 8 gehören zusammen. Sie sehen das schon rein sprachlich. Ich habe es eingekringelt,
vorher war ich, ich als sprachlicher Gestriss des Schuldbekenntnisses. Jetzt ist du das entscheidende
Stichwort. Ganz dezidiert an den Anfang gesetzt, du nimmst auf deinen Rücken, du bist ein Fluch,
dein Schmerzen, du setzt dich zum Bürgen. Achte Strophe, du springst in Todes Rachen. In drei
Durchgängen wird explizit noch einmal formuliert, wie die Logik geht, dass dieses Kreuz für mich
heil bedeutet. Gehen wir es der Reihe nach. Du, also die Situation ist, ich stehe unterm Kreuz
und spreche jetzt den, der am Kreuz hängt an und also nehme das wahr, schaue mit Fleiße und
realisiere es für mich, was hier abgeht. Du nimmst auf deinen Rücken die Lasten, so mich drücken,
viel seherer als ein Stein. Man konnte früher also sehr auch steigern, sehr und mehr als seherer.
Im Gesangbuch heute steht viel schwerer als ein Stein, ist ja sprachlich gallant und naheliegend
und nicht falsch. Das Bild, das Christus Lasten auf dem Rücken trägt, hat zwei Referenzen. Zum
einen ist es wieder das Lamm, wo er geht dahin, als wie ein Lamm, das die Sünde der Welt trägt.
Du trägst die Sünde der Welt, heißt Johannes 1,29. Das andere Bild mit Lasten tragen auf dem Rücken
kommt ja in der Passionsgeschichte auch vor, in der Sequenz, wo Jesus sein Kreuz trägt und unter
Umständen sogar darunter zusammenbricht. Also da evoziert dieses Bild von die Lasten auf den Rücken
nehmen. Wiederum ist realisiert, das was Christus trägt zu tragen hat, ist eigentlich das, was ich
zu tragen hätte, nämlich die Konsequenz meiner Schuld. Die Lasten, so mich drücken. Du bist ein
Fluch, dagegen verehrst du mir den Segen. Dein Schmerzen muss mein Lapsar sein. Wir haben hier
das Gegenüber von Fluch und Segen. Du bist ein Fluch. Da muss man einfach wissen, auf was es sich
in der Bibel bezieht. Ich habe auf dem handout, erste Seite ziemlich weit unten, die entsprechende
Stelle aus Galatator 3, Vers 13 folgende wiedergegeben. Also wir sind jetzt bei Paulinischer
Kreuzestheologie. Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für
uns. Also die Formulierung von Paul Gerhard, du bist ein Fluch, ist Paulus im Klartext 1 zu 1, da er
ward ein Fluch für uns. Und so weiter. Fortsetzung, auf dass der Segen Abrahams unter die Heiden käme
in Christo Jesu und wir also den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben. Also die
Korrespondenz von Fluch und Segen. Christus nimmt den Fluch, der eigentlich uns gilt, auf sich,
damit wir den Segen erhalten. Ist hier, du bist ein Fluch, dagegen verehrst du mir den Segen. Dein
Schmerzen muss mein Lapsar sein. Das Schmerzen schließt an, an die Schmerzen, die unerschöpften
Schmerzen in Strophe 2. Bringt nochmal die Innenseite des Leidens Christi zum Ausdruck,
dass er tatsächlich Schmerzen empfindet und das Schöne gegenüber Schmerzen und Lapsar,
also als Korrespondenz zu Fluch und Segen Schmerz und Lapsar. Mit mir, den Segen und mein Lapsar
sein, haben wir wieder zweimal so eine MS-Verbindung, was auf diesen Michael Schirmer
schließen lässt, ebenso wie in der Strophe drüber in der Schlusszeile meine Seele. Mein Lapsar sein
ist jetzt genauso wie vorher das Schuldbekenntnis, auf den Michael Schirmer bezogen war wieder
dezidiert positiv jetzt auf ihn bezogen. Die Sache mit Michael Schirmer hat insofern eine
besondere Bewandnis. Wenn Sie googeln nach Michael Schirmer und bei Wikipedia herauskommen,
dann steht da, dass das spezielle Problem und bekannte Problem des Herrn Schirmer war,
dass er depressiv war und offensichtlich lange Phasen seines Lebens tatsächlich nicht
dienstfähig und dass das also bekannt war und im Kreis seiner Freund, bekannten im Kreis der
Pfarrerschaft und so weiter. Und insofern gewinnt dieses doch eine spezielle Bedeutung,
dass Paul Gerhard hier so intensiv den Michael Schirmer einzeichnet. Also es lohnt sich, das Lied
einmal daraufhin durchzulesen, welche sprachlichen Signale speziell auch für zu depressivität
neigende Menschen gemünzt sind. Und so eine Wendung wie, dein Schmerzen muss mein Lapsar sein,
denke ich, ist da schon sehr signifikant. Wir machen weiter, Strophe 7, du, Anrede an Christus,
du setzt mich zum Bürgen. Das ist wieder, ich habe es hingeschrieben, Hiob 17, Vers 3, da heißt es,
sei du selber mein Bürger bei dir, wer will mich sonst vertreten? Also der Einzige, der mich Sünder
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:43:54 Min
Aufnahmedatum
2020-05-11
Hochgeladen am
2020-05-17 00:16:15
Sprache
de-DE
Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II
Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.