8 - Machtwechsel. Reichsstädtische Literatur und der Verlust der politischen Selbständigkeit 1806 [ID:477]
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Nun seid ihr Fürstenknechte.

Diesen Satz, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben Sie wahrscheinlich schon verinnerlicht,

wenn Sie die Zeitungsartikel und Ausstellungen, Vorträge und Veranstaltungen des fränkisch-bayerischen

Jubiläumsjahr 2006 auch nur ein wenig verfolgt haben. Die Frau des Nürnberger

Kaufmanns, Paul-Wilhelm Merkel, soll ihren Kindern mit diesen Worten weinend um den

Hals gefallen sein, als während der Übergabefeierlichkeiten am 15. September

1806 um 10 Uhr vormittags die Glocken der Stadt geläutet wurden. Bei alledem darf

allerdings eines nicht übersehen werden. Der bestürzte Ausruf der Margareta

Elisabeth Merkel von 1806 gibt nicht etwa Realität wieder. Real war die Übergabe

der Macht von den Franzosen an den bayerischen Generalkommissar. Real war das

Geloite der Glocken anlässlich dieses Aktes. Die zitierte Äußerung aber war eine

bloße Einschätzung dieses Geschehens. Der drohenden Fürstenknechtschaft wurde

hier unausgesprochen, doch unübersehbar, ein idealistisches Freiheitskonzept

gegenübergestellt, wie es gerade in der Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts

populär geworden war. Gerade die gebildeten Milieus, die sich als

volksaufklärerisch verstanden und am Gemeinen wohlorientiert waren, nahmen

derartige Vorstellungen und Schlagworte auf. Ihnen gehörten auch die Merkels an,

eine der arriviertesten bürgerlichen Familien Nürnbergs. Der ebenso hilflose wie

pessimistische Ausruf spiegelt also eine bestimmte Sichtweise der Dinge wieder. Und

die Erfahrung zeigt uns, dass es stets eine Mehrzahl solcher subjektiver

Wahrheiten gibt. Sie existieren nebeneinander, lassen sich nicht etwa

gegenseitig aufrechnen. Das Gemeinsam Erlebte lässt sich unter ganz verschiedenen

Prämissen und Blickwinkeln betrachten und jede dieser Perspektiven hat ihre

Berechtigung. Auch wir dürfen die wahrnehmungsgeschichtliche Komplexität

also nicht einfach nur reduzieren. Stattdessen haben wir zu fragen, welche

Bedingungen und Interessen hinter den einzelnen Sichtweisen stehen.

Gerade die Literatur kann für solche Fragestellungen wertvolles

Quellenmaterial liefern. Die bayerische Besitzergreifung Nürnbergs, auf die ich

mich im Folgenden konzentrieren werde, hat bei den unmittelbar Betroffenen ganz

unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Das gilt auch für die

Literaten, die die Beseitigung der alten oligarchischen Ordnung und die

Unterstellung der Reichsstadt unter die Krone Bayern im Herbst 1806 als

Zeitzeugen miterlebten. Es ist naheliegend, dass die Milieuzugehörigkeit

und die Interessenlagen der Autoren bei der Wahrnehmungsweise eine

ausschlaggebende Rolle spielten und so sind auch die Nürnberger Literaten ganz

und gar nicht einmütig in den Ton eingefallen, der mit dem eingangs zitierten

Ausspruch der Frau Merkel angestimmt war. Anders als vielleicht zu vermuten, hat

es unter den gebrauchsliterarischen Texten sogar keinen gegeben, der

ausgesprochen kritisch oder gar pamphletistisch gewesen wäre.

Anonyme Flugblätter hatten einst die preußischen Zugriffe auf reichstädtisches

Territorium verurteilt, satirische Gedichte und bissige Einblattdrucke in

den Jahren seit 1800 über die französischen Besatzer gespottet.

Zeitweilig galt Nürnberg geradezu als Zentrum des pamphletistischen Kampfes

gegen Napoleon und seine Verbündeten. Über die neuen bayerischen Herren

hingegen, denen die Stadt im September 1806 übergeben wurde,

finden sich keine solchen Stellungnahmen.

Das muss nicht unbedingt mit der Begeisterung der Nürnberger Bürger

über die neuen Verhältnisse zu tun gehabt haben.

Es hing vielmehr damit zusammen, dass sich die Bildungsliteratur derzeit eher

mit schön geistigen oder didaktischen Themen beschäftigte. Anders als etwa im

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Werner Wilhelm Schnabel Prof. Dr. Werner Wilhelm Schnabel

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:30:03 Min

Aufnahmedatum

2007-08-02

Hochgeladen am

2017-07-06 14:13:58

Sprache

de-DE

Tags

Literatur Politik Reichsstadt
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