Ideal- und Institutionsformen der Gelehrten Republik sollten das Ende des Anciens Regimes
nicht überdauern. Sie fand gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihr Ende, nachdem sich ihre
Gehalte und Postulate teilweise erfüllt und teilweise auch überlebt hatten. Ich möchte
also skizzieren und betone gleich eingangs, dass im zeitlichen Rahmen meines Vortrages mehr als
eine Skizze nicht möglich sein wird, wie sich zwischen circa 1550 und circa 1750 bzw. 1800 im
sogenannten goldenen Zeitalter der Gelehrtenrepublik, diese etablierte und konsolidierte,
wie die gelehrte Welt das Bewusstsein entwickelte, eine geschlossene Gemeinschaft zu bilden,
eine Elite von Gelehrten und Forschern, Neuerern, Erfindern und Talenten postulierte,
die gemeinsam am Fortschritt menschlichen Wissens arbeiten sollte. Wissenschaftliche
Kommunikation und Kooperation sollte an die Stelle jener solitären intellektuellen Existenzen treten,
über deren Höhlenexistenz der italienische Aufklärer Pietro Verri Mitte des 18. Jahrhunderts
verächtlich anmerken sollte. Al palido lume d'una lampada senestavo nir suto sapientene seculi
scorsi comun monstro de la speciumana. Zu Deutsch, im fahlen Licht einer Leuchte hielt sich in den
vergangenen Jahrhunderten der struppige Gelehrte auf, gleichsam ein Monstrum der menschlichen Gattung.
Fragen wir uns zunächst, wann der Begriff der República Literaria entstanden ist. Der
früheste Begriffsbeleg, den man bisher ermittelt hat, datiert aus dem Jahre 1417 und ist einem
Italiener zuzuschreiben. Und der lateinische Begriff República Literaria wird dann im 16.
Jahrhundert europaweit geläufig. Er bezeichnet summarisch alle Gelehrten der Welt, man spricht
auch vom Orbis Literarius, Imperium Literarium etc. Das dem Adjektiv Literarius zugrunde liegenden
Nomen Literae entspricht weitgehend dem Begriff der eruditio, der Gelehrsamkeit im gegenständlichen
Sinne eines objektiven Wissens. Allerdings wird es noch lange dauern, bis sich die entsprechenden
volkssprachlichen Begriffe Gelehrtenrepublik, Republik de Lettres, Republic of Letters und
República Literaria einbürgern werden. Vom späten 17. Jahrhundert an sind auch diese
volkssprachlichen Begriffe geläufig und sie avancieren in der Terminologie der Frühaufklärung,
sprich im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert zum Schlüsselbegriff. Der Umstand, dass sich die
Gelehrtenrepublik ursprünglich und für lange Zeit unter dem lateinischen Begriff der República
Literaria versammelte, war der Verbreitung und Publizität ihres neuen Selbstbewusstseins freilich
mitnichten abträglich. Denn die lateinische Sprache bildete ja bekanntlich das zentrale
Kommunikationsmedium der gelehrten akademischen Welt und erst allmählich trat im späten 17. Jahrhundert
das französische in der europäischen akademischen Verständigung an die Seite des lateinischen.
In der República Literaria bediente man sich jahrhundertelang ausschließlich des lateinischen
ein Umstand der enorme praktische Vorteile bot. 1700 präsentiert der französische Polihistor
Wignolle Marville die Gelehrtenrepublik mit folgenden Worten.
Zu deutsch niemals war eine Republik größer, bevölkerungsreicher, freier, ruhmreicher.
Sie dehnt sich über die ganze Erde aus und setzt sich aus Menschen aller Nationalitäten zusammen.
Jeden Standes, jeden Alters und jeglichen Geschlechts. Die Künste verbinden sich dort
mit der Literatur. Die Religion aber ist in der Gelehrtenrepublik nicht einheitlich und die
Sitten sind, wie in allen anderen Republiken auch, gemischt, gut und schlecht. Man findet hier
Frömmigkeit ebenso wie Freigeisterei. Halten wir fest, die Gelehrtenrepublik ist ihrem Anspruch
nach universal, kosmopolitisch, religiös tolerant und zu ihren Bürgern zählen nicht nur Gelehrte,
sondern auch Künstler. Pierre Bail, der bedeutende französische Frühaufklärer,
Hugo Notte im niederländischen Exil notiert, die Gelehrtenrepublik ist ein äußerst freier
bzw. freiheitlicher Staat. Man erkennt dort nur die Herrschaft der Wahrheit und der Vernunft an und
unter deren Auspizien führt man auf unschuldige Weise Krieg gegen wen auch immer. In der Gelehrtenrepublik
gibt es demzufolge keinerlei Autorität außer derjenigen der Vernunft. In den intellektuellen
Auseinandersetzungen der Bürger der Gelehrtenrepublik erlangt derjenige legitime Autorität,
der der Vernunft zur Geltung zu helfen vermag. Dieser mag dann, wie Erasmus, den Titel
totius republicae literarie monachca, eines Königs der gesamten Gelehrtenrepublik, zurecht
tragen. Die Gelehrtenrepublik ist freiheitlich und wird von Rationalität gesteuert. Sie ist,
so verdeutlichen die Worte Pierre de Mesos, der Anfang des 18. Jahrhunderts, Bels Korrespondenz,
Presenters
Prof. Dr. Gisela Schlüter
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:13 Min
Aufnahmedatum
2000-07-06
Hochgeladen am
2018-06-20 12:16:25
Sprache
de-DE