9 - Die europäische Gelehrtenrepublik - Aufstieg und Niedergang zwischen Humanismus und Aufklärung [ID:1698]
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Ideal- und Institutionsformen der Gelehrten Republik sollten das Ende des Anciens Regimes

nicht überdauern. Sie fand gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihr Ende, nachdem sich ihre

Gehalte und Postulate teilweise erfüllt und teilweise auch überlebt hatten. Ich möchte

also skizzieren und betone gleich eingangs, dass im zeitlichen Rahmen meines Vortrages mehr als

eine Skizze nicht möglich sein wird, wie sich zwischen circa 1550 und circa 1750 bzw. 1800 im

sogenannten goldenen Zeitalter der Gelehrtenrepublik, diese etablierte und konsolidierte,

wie die gelehrte Welt das Bewusstsein entwickelte, eine geschlossene Gemeinschaft zu bilden,

eine Elite von Gelehrten und Forschern, Neuerern, Erfindern und Talenten postulierte,

die gemeinsam am Fortschritt menschlichen Wissens arbeiten sollte. Wissenschaftliche

Kommunikation und Kooperation sollte an die Stelle jener solitären intellektuellen Existenzen treten,

über deren Höhlenexistenz der italienische Aufklärer Pietro Verri Mitte des 18. Jahrhunderts

verächtlich anmerken sollte. Al palido lume d'una lampada senestavo nir suto sapientene seculi

scorsi comun monstro de la speciumana. Zu Deutsch, im fahlen Licht einer Leuchte hielt sich in den

vergangenen Jahrhunderten der struppige Gelehrte auf, gleichsam ein Monstrum der menschlichen Gattung.

Fragen wir uns zunächst, wann der Begriff der República Literaria entstanden ist. Der

früheste Begriffsbeleg, den man bisher ermittelt hat, datiert aus dem Jahre 1417 und ist einem

Italiener zuzuschreiben. Und der lateinische Begriff República Literaria wird dann im 16.

Jahrhundert europaweit geläufig. Er bezeichnet summarisch alle Gelehrten der Welt, man spricht

auch vom Orbis Literarius, Imperium Literarium etc. Das dem Adjektiv Literarius zugrunde liegenden

Nomen Literae entspricht weitgehend dem Begriff der eruditio, der Gelehrsamkeit im gegenständlichen

Sinne eines objektiven Wissens. Allerdings wird es noch lange dauern, bis sich die entsprechenden

volkssprachlichen Begriffe Gelehrtenrepublik, Republik de Lettres, Republic of Letters und

República Literaria einbürgern werden. Vom späten 17. Jahrhundert an sind auch diese

volkssprachlichen Begriffe geläufig und sie avancieren in der Terminologie der Frühaufklärung,

sprich im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert zum Schlüsselbegriff. Der Umstand, dass sich die

Gelehrtenrepublik ursprünglich und für lange Zeit unter dem lateinischen Begriff der República

Literaria versammelte, war der Verbreitung und Publizität ihres neuen Selbstbewusstseins freilich

mitnichten abträglich. Denn die lateinische Sprache bildete ja bekanntlich das zentrale

Kommunikationsmedium der gelehrten akademischen Welt und erst allmählich trat im späten 17. Jahrhundert

das französische in der europäischen akademischen Verständigung an die Seite des lateinischen.

In der República Literaria bediente man sich jahrhundertelang ausschließlich des lateinischen

ein Umstand der enorme praktische Vorteile bot. 1700 präsentiert der französische Polihistor

Wignolle Marville die Gelehrtenrepublik mit folgenden Worten.

Zu deutsch niemals war eine Republik größer, bevölkerungsreicher, freier, ruhmreicher.

Sie dehnt sich über die ganze Erde aus und setzt sich aus Menschen aller Nationalitäten zusammen.

Jeden Standes, jeden Alters und jeglichen Geschlechts. Die Künste verbinden sich dort

mit der Literatur. Die Religion aber ist in der Gelehrtenrepublik nicht einheitlich und die

Sitten sind, wie in allen anderen Republiken auch, gemischt, gut und schlecht. Man findet hier

Frömmigkeit ebenso wie Freigeisterei. Halten wir fest, die Gelehrtenrepublik ist ihrem Anspruch

nach universal, kosmopolitisch, religiös tolerant und zu ihren Bürgern zählen nicht nur Gelehrte,

sondern auch Künstler. Pierre Bail, der bedeutende französische Frühaufklärer,

Hugo Notte im niederländischen Exil notiert, die Gelehrtenrepublik ist ein äußerst freier

bzw. freiheitlicher Staat. Man erkennt dort nur die Herrschaft der Wahrheit und der Vernunft an und

unter deren Auspizien führt man auf unschuldige Weise Krieg gegen wen auch immer. In der Gelehrtenrepublik

gibt es demzufolge keinerlei Autorität außer derjenigen der Vernunft. In den intellektuellen

Auseinandersetzungen der Bürger der Gelehrtenrepublik erlangt derjenige legitime Autorität,

der der Vernunft zur Geltung zu helfen vermag. Dieser mag dann, wie Erasmus, den Titel

totius republicae literarie monachca, eines Königs der gesamten Gelehrtenrepublik, zurecht

tragen. Die Gelehrtenrepublik ist freiheitlich und wird von Rationalität gesteuert. Sie ist,

so verdeutlichen die Worte Pierre de Mesos, der Anfang des 18. Jahrhunderts, Bels Korrespondenz,

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Gisela Schlüter Prof. Dr. Gisela Schlüter

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:28:13 Min

Aufnahmedatum

2000-07-06

Hochgeladen am

2018-06-20 12:16:25

Sprache

de-DE

Tags

Humanismus Aufklärung Schlüter Schlueter Collegium Alexandrinum
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