Und dieser Mann, der größte musikalische Dichter und der größte musikalische
Deklamator, den es je gegeben hat und den es wahrscheinlich je geben wird, war ein
Deutscher. Sei stolz auf ihn Vaterland, sei auf ihn stolz, aber sei auch seiner Wert. Mit
solch emphatischen Worten, meine Damen und Herren, endet die erste Biografie zu Johann Sebastian
Bach. Sie erschien erst gut 50 Jahre nach Bachs Tod im Jahre 1802. Das war eine Eigeninitiative
des aus Meder bei Coburg stammenden Johann Nikolaus Forkel. Er hatte es zum Universitätsmusikdirektor
in Göttingen gebracht, war also ein Kollege von mir. Er war ein Fan des alten Bach und
darin seinerzeit durchaus nicht im Mainstream. Die beiden Bachsöhne Wilhelm Friedemann und
Karl Philipp Emanuel hatte er noch persönlich gekannt und namentlich von Letzteren, der
1788 starb, sich biografische Informationen über den Vater besorgt. Es dauerte nochmals
fast 15 Jahre nach Karl Philipp Emanuel Bachs Tod, bis Forkel sich entschloss, eine Bach-Monographie
zu publizieren, unabhängig von seinem Großprojekt einer enzyklopädischen Musikgeschichte. So
begründete er mit diesem separat erschienenen Büchlein die Gattung der musikhistorischen
Monographie überhaupt. Das gab es vorher nicht. Anlass dafür, konkreter Anlass, war
eine in Leipzig geplante Bachwerkausgabe, die damit publizistisch promoted werden sollte,
wie man heute sagt. Zu der Ausgabe kam es dann aber nicht, aber das Büchlein war da.
Sie sehen im Titelblatt, dass jetzt auch eine neue mentalitätsgeschichtliche Dimension
wesentlich geworden war. Nämlich für, und gesperrt gedruckt, patriotische Verehrer,
echter musikalischer Kunst, ist das Buch gedacht. In der Vorrede ist dazu zu lesen,
das ist etwas ungenau, hören Sie einfach zu, dieses Unternehmen ist nicht nur der Kunst selbst
in jedem Betrachter äußerst vorteilhaft, sondern muss auch mehr als irgendeines der Art zur Ehre
des deutschen Namens gereichen. Die Werke, die uns Johann Sebastian Bach hinterlassen hat, sind ein
unschätzbares Nationalerbgut, dem kein anderes Volk etwas Ähnliches entgegensetzen kann. Jeder,
dem die Ehre des deutschen Namens etwas gilt, ist verpflichtet, ein solches patriotisches Unternehmen
zu unterstützen und so viel an ihm ist zu befördern. An diese Pflicht, unser Publikum zu erinnern,
diesen edlen Enthusiasmus in der Brust jedes deutschen Mannes zu wecken, achte ich für meine
Schuldigkeit und dies ist die Ursache, weswegen diese Blätter früher erscheinen, als sonst
geschehen sein würde. Er spielt darauf an, dass er ja eigentlich eine Gesamtencyklopädie plante.
Ich brauche das jetzt nicht weiter zu kommentieren, jedenfalls ist klar, seit Vorkal ist Johann
Sebastian Bach vor allem ein deutscher Künstler, sogar der Deutsche schlechthin. In Bach wird die
Überlegenheit der deutschen Nation als Kulturnation evident. Sie haben nun hier am Ende das Zitat,
das ich zu Beginn gelesen habe, wir dürfen auf ihn stolz sein, müssen uns aber auch seiner
Wert erweisen durch gewissenhafte Überlieferung und Aufführung seiner Werke. Sei stolz auf ihn,
Vaterland, sei auf ihn stolz, aber sei auch seiner Wert. Und Vorkal spielte darauf an,
dass er der Meinung war, dass Deutschland bis dahin Bachs noch nicht wert war, weil Bach zu
wenig bekannt und zu wenig gespielt wurde. Dieser nationale Ton zieht sich durch das gesamte
Bach-Schriftum des 19. Jahrhunderts. Auch unser diesjähriger Musikerjubilar Richard Wagner erklärt
dem bayerischen König Ludwig, dass in Bach die wunderbare Eigentümlichkeit, Kraft und Bedeutung
des deutschen Geistes verkörpert sei und man ihn deswegen in der Musiker-Ausbildung prominent
berücksichtigen müsse. Seiner Frau Cosima, geborene Liszt, verkauft Wagner Bach als bedeutenden
Vorläufer seiner eigenen Kunst, etwa in Sachen unendliche Melodie. Das Meistersinger-Vorspiel
schließlich spielt er 1878 seinen Kindern vor mit dem Hinweis, das sei angewendeter Bach.
Und am Schluss dieser Oper könnte es als Replik auf den Appell,
eret eure deutschen Meister statt Heil Sachs gewissermaßen auch Heil Bach heißen.
Das Schlussbild der aktuellen Nürnberger Meistersinger-Inszenierung erscheint mir
durchaus treffend, auch für die deutsche Bach-Verehrung. Ursprünglich das Bild eine
Station vorher sehen sie nur schwarz-rot-goldene Fahnen. Wie schwarz-rot-goldene Fußballfans
huldigen wir unserem deutschen Meister Bach, aber die Europa-Flagge, sie sehen sie in der Mitte,
vor allem im Hintergrund, die Europa-Flagge weht unübersehbar und mahnt uns heute,
seid mit eurem deutschen Bach-Enthusiasmus auch Europas wert. Denn Europa und das ist die Zielrichtung
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:19:23 Min
Aufnahmedatum
2013-07-03
Hochgeladen am
2014-04-27 00:58:09
Sprache
de-DE