Ja, vielen Dank für die Einführung und es freut mich, dass Sie heute so zahlreich hier
auch erschienen sind, auch wenn der Anleis ein trauriger bleibt und immer noch erschreckend
bleibt der Ukraine-Krieg und das wird zum Teil auch das Thema des heutigen Vortrags sein,
auch wenn ich überwiegend über die historischen Hintergründe dieses Krieges sprechen werde,
speziell mit Blick auf das Erbe des Imperialismus, das in diesem Krieg eine Rolle spielt,
eine wichtige Rolle spielt, das auch die Wahrnehmung dieses Krieges prägt, das Erbe
des Imperialismus, so werde ich argumentieren, prägt auch unser Denken in der Gegenwart. Das
wird also mein Thema sein und ich werde zum Schluss danach fragen, wie können wir vielleicht dieses
Denken überwinden und welche Rolle kann das auch spielen in Zukunft. Dieser Krieg wird ja vielleicht
auch irgendwann enden. Was können wir vielleicht aus der Geschichte des Imperialismus auch lernen
mit Blick auf diesen Krieg. Den Titel zu dem heutigen Vortrag habe ich vor einigen Wochen noch
zu Beginn des Krieges gewählt, aber ich glaube, dass das angesprochene Problem, das Erbe des
Imperialismus noch dringender geworden ist. Zu dem bin ich überzeugt davon, dass uns auch in Deutschland
noch eine große Debatte über das koloniale Verhältnis zu Osteuropa bevorsteht. Insbesondere
auch, weil die Stimme aus der Ukraine lauter werden, sich in der deutschen Öffentlichkeit
bemerkbar machen werden und wir nicht umhin können sie zu hören. Auch einige verdrängte Themen des
deutschen Verhältnisses zu Osteuropa werden dabei zum Vorschein kommen. Einige davon möchte ich in
meinem heutigen Vortrag ansprechen. In dem heutigen Vortrag geht es dabei inhaltlich um das russische
und auch um das deutsche Imperiale denken gegenüber Osteuropa. Zeigen möchte ich, dass sich dieser
Konflikt auch anders denken lässt, globaler und in Kategorien, die universeller sind als ein Kampf
um vermeintliche europäische Werte. Denn zu bedenken ist immer auch, dass Kolonialismus und
das Projekt einer europäischen Moderne untrennbar miteinander verbunden waren. Europa war in
globaler Perspektive eben nicht immer die Macht des Fortschritts, sondern auch ein Kontinent,
der durch Eroberung und Gewalt die Welt zu beherrschen suchte. Die postkoloniale Theorie
lehrt uns, dass zwischen dem Denken in Kategorien der Moderne und Zivilisation und imperialistischer
Überheblichkeit ein enger Zusammenhang besteht. Imperialismus impliziert nicht bloß Kolonialpolitik,
sondern Weltpolitik, für welche Kolonien nicht allein Zwecke in sich selbst, sondern auch Pfänder
in globalen Machtspielen sind. Dekolonisation hingegen bedeutet laut Jürgen Osterhaml und Jan
Jansen die historisch einmalige und voraussichtlich unumkehrbare Delegitimierung jeglicher Herrschaft,
die als ein Untertanenverhältnis zu Fremden empfunden wird. Und das ist ein großer Anspruch,
ein geradezu utopischer Anspruch und wir sehen, dass es vielleicht auch ein bisschen voreilig war,
wenn die beiden vor einigen Jahren die beiden Autoren formuliert haben, dass das ein voraussichtlich
unumkehrbarer Vorgang ist. Ich hoffe weiterhin, dass sozusagen das imperiale Denken nicht in
Dimensionen zurückkehrt, wie es im 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert präsent war. Dennoch zeigt
der Krieg, dass es eben möglich ist auch solches Denken zu reaktivieren. Und bei der Dekolonisation
handelt es sich auch um einen welthistorisch bedeutenden Vorgang, der gerade infrage gestellt
wird. Denn letztlich, das ist auch dann eigentlich die hauptsächliche These meines Vortrages, ist es
entscheidend, dass viele Menschen in der Ukraine die russische Herrschaft als fremd empfinden und
davon suchten sie sich in der Vergangenheit und suchen sie sich heute noch zu befreien.
Ich selbst, Herr Kötter hat das gesagt, bin eigentlich ein Experte für die Geschichte
Zentralasiens und wir werden auch gleich einen kleinen Exkurs in diese Region machen,
weil sich hier der koloniale Charakter der russischen Herrschaft besonders deutlich zeigt.
Doch wir werden auch zur Ukraine zurückkehren, denn mir geht es vor allem darum aufzuzeigen,
dass weitreichende Prinzipien staatlicher Souveränität auf dem Spiel stehen. Zeigen möchte
ich nicht zuletzt, dass auch der deutsche Blick auf Russland und Osteuropa durch koloniale
Wahrnehmungen geprägt ist. Ich komme zu meinem ersten Teil des Vortrags, das russische Reich
als ein Kolonialimperium, also wir gehen jetzt ein bisschen zurück in die Geschichte. Das russische
Reich entstand im 16. Jahrhundert als ein Imperium und zerfiel im 20. Jahrhundert. Von Anfang an
war es, um eine Formulierung des Historikers Andreas Kappeler zu verwenden, ein Vielvölkerreich.
Auf seinem Territorium lebten nicht nur Slawen, sondern auch viele ukrische, turksprachige,
Presenters
Dr. Moritz Florin
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:36:27 Min
Aufnahmedatum
2022-05-05
Hochgeladen am
2022-05-07 16:53:56
Sprache
de-DE