1 - Die Dekolonisierung Osteuropas? Der Ukrainekrieg und das Erbe des Imperialismus [ID:41734]
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Ja, vielen Dank für die Einführung und es freut mich, dass Sie heute so zahlreich hier

auch erschienen sind, auch wenn der Anleis ein trauriger bleibt und immer noch erschreckend

bleibt der Ukraine-Krieg und das wird zum Teil auch das Thema des heutigen Vortrags sein,

auch wenn ich überwiegend über die historischen Hintergründe dieses Krieges sprechen werde,

speziell mit Blick auf das Erbe des Imperialismus, das in diesem Krieg eine Rolle spielt,

eine wichtige Rolle spielt, das auch die Wahrnehmung dieses Krieges prägt, das Erbe

des Imperialismus, so werde ich argumentieren, prägt auch unser Denken in der Gegenwart. Das

wird also mein Thema sein und ich werde zum Schluss danach fragen, wie können wir vielleicht dieses

Denken überwinden und welche Rolle kann das auch spielen in Zukunft. Dieser Krieg wird ja vielleicht

auch irgendwann enden. Was können wir vielleicht aus der Geschichte des Imperialismus auch lernen

mit Blick auf diesen Krieg. Den Titel zu dem heutigen Vortrag habe ich vor einigen Wochen noch

zu Beginn des Krieges gewählt, aber ich glaube, dass das angesprochene Problem, das Erbe des

Imperialismus noch dringender geworden ist. Zu dem bin ich überzeugt davon, dass uns auch in Deutschland

noch eine große Debatte über das koloniale Verhältnis zu Osteuropa bevorsteht. Insbesondere

auch, weil die Stimme aus der Ukraine lauter werden, sich in der deutschen Öffentlichkeit

bemerkbar machen werden und wir nicht umhin können sie zu hören. Auch einige verdrängte Themen des

deutschen Verhältnisses zu Osteuropa werden dabei zum Vorschein kommen. Einige davon möchte ich in

meinem heutigen Vortrag ansprechen. In dem heutigen Vortrag geht es dabei inhaltlich um das russische

und auch um das deutsche Imperiale denken gegenüber Osteuropa. Zeigen möchte ich, dass sich dieser

Konflikt auch anders denken lässt, globaler und in Kategorien, die universeller sind als ein Kampf

um vermeintliche europäische Werte. Denn zu bedenken ist immer auch, dass Kolonialismus und

das Projekt einer europäischen Moderne untrennbar miteinander verbunden waren. Europa war in

globaler Perspektive eben nicht immer die Macht des Fortschritts, sondern auch ein Kontinent,

der durch Eroberung und Gewalt die Welt zu beherrschen suchte. Die postkoloniale Theorie

lehrt uns, dass zwischen dem Denken in Kategorien der Moderne und Zivilisation und imperialistischer

Überheblichkeit ein enger Zusammenhang besteht. Imperialismus impliziert nicht bloß Kolonialpolitik,

sondern Weltpolitik, für welche Kolonien nicht allein Zwecke in sich selbst, sondern auch Pfänder

in globalen Machtspielen sind. Dekolonisation hingegen bedeutet laut Jürgen Osterhaml und Jan

Jansen die historisch einmalige und voraussichtlich unumkehrbare Delegitimierung jeglicher Herrschaft,

die als ein Untertanenverhältnis zu Fremden empfunden wird. Und das ist ein großer Anspruch,

ein geradezu utopischer Anspruch und wir sehen, dass es vielleicht auch ein bisschen voreilig war,

wenn die beiden vor einigen Jahren die beiden Autoren formuliert haben, dass das ein voraussichtlich

unumkehrbarer Vorgang ist. Ich hoffe weiterhin, dass sozusagen das imperiale Denken nicht in

Dimensionen zurückkehrt, wie es im 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert präsent war. Dennoch zeigt

der Krieg, dass es eben möglich ist auch solches Denken zu reaktivieren. Und bei der Dekolonisation

handelt es sich auch um einen welthistorisch bedeutenden Vorgang, der gerade infrage gestellt

wird. Denn letztlich, das ist auch dann eigentlich die hauptsächliche These meines Vortrages, ist es

entscheidend, dass viele Menschen in der Ukraine die russische Herrschaft als fremd empfinden und

davon suchten sie sich in der Vergangenheit und suchen sie sich heute noch zu befreien.

Ich selbst, Herr Kötter hat das gesagt, bin eigentlich ein Experte für die Geschichte

Zentralasiens und wir werden auch gleich einen kleinen Exkurs in diese Region machen,

weil sich hier der koloniale Charakter der russischen Herrschaft besonders deutlich zeigt.

Doch wir werden auch zur Ukraine zurückkehren, denn mir geht es vor allem darum aufzuzeigen,

dass weitreichende Prinzipien staatlicher Souveränität auf dem Spiel stehen. Zeigen möchte

ich nicht zuletzt, dass auch der deutsche Blick auf Russland und Osteuropa durch koloniale

Wahrnehmungen geprägt ist. Ich komme zu meinem ersten Teil des Vortrags, das russische Reich

als ein Kolonialimperium, also wir gehen jetzt ein bisschen zurück in die Geschichte. Das russische

Reich entstand im 16. Jahrhundert als ein Imperium und zerfiel im 20. Jahrhundert. Von Anfang an

war es, um eine Formulierung des Historikers Andreas Kappeler zu verwenden, ein Vielvölkerreich.

Auf seinem Territorium lebten nicht nur Slawen, sondern auch viele ukrische, turksprachige,

Teil einer Videoserie :

Presenters

Dr. Moritz Florin Dr. Moritz Florin

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:36:27 Min

Aufnahmedatum

2022-05-05

Hochgeladen am

2022-05-07 16:53:56

Sprache

de-DE

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