Es gibt einen Fortschritt in der Rechtswissenschaft, aber dieser Fortschritt ist äußerst langsam.
Dinge, von denen Sie erwarten würden, dass Sie innerhalb weniger Jahre stattfinden, brauchen vielleicht etwa 300 Jahre.
Es ist anders als in anderen Wissenschaften, anders als in den Naturwissenschaften.
Und dies will ich darstellen an einem Beispiel.
Und dieses Beispiel wird sich auf die Zurechnungslehre und die Notstandslehre beziehen.
Jetzt was heißt Zurechnung? Zurechnung ist ein interessantes Wort.
Das lateinsche Wort dafür heißt Imputare. Was bedeutet Imputare? Imputare bedeutet Einschneiden.
Das ist die Bedeutung, die sich natürlich ableitet von Putare Schneiden.
Jetzt wann wird eingeschnitten? Einige von Ihnen kennen diese Geschichte.
Wann wird eingeschnitten? Früher, Sie kennen diese Geschichte mit den Bierdeckeln.
Wenn Sie heute auf den Berg gehen, ich hoffe, dass das so ist, auf den Berg, ich weiß es nicht ganz genau,
dann macht der Kellner auf den Bierdeckel einen Strich, wenn Sie ein Bier getrunken haben.
Und wenn Sie sieben Biere getrunken haben, dann macht der sieben Striche dahin, damit er nachher anständig abrechnen kann.
Nun, Bierdeckel gab es früher nicht. Aber dafür in diesen Holzkarten, in denen die alkoholischen Getränke ausgeschenkt wurden,
da war es so, da waren halt immer Balken. Und anstatt die Bierdeckel zu beschriften, die sie nicht hatten,
in der Form, wie wir das kennen, haben die Kerben in das Holz eingeschnitten.
Und drum haben Sie also, wenn Sie wollen, Kerben in das Holz imputiert.
Und dieses Einschneiden, da kann man dann abrechnen, wie viel Bier Sie getrunken haben.
Sind da sieben Kerben, dann haben Sie sieben Bier getrunken.
Und wenn Sie sieben Kerben haben, dann haben Sie eben allerhand auf dem Kerbholz.
Der Ausdruck, Zurechnungslehre, den haben wir erst seit dem Pufendorf, seit dem Jahre 1672. Das kann man sehr genau datieren.
Was bedeutet jetzt Zurechnungslehre? Nun, was wird Ihnen denn zugerechnet, wenn Sie etwas auf dem Kerbholz haben?
Nun, es wird Ihnen zugerechnet, was Sie getan haben. Sie haben nämlich sieben Bier getrunken.
Das wird Ihnen zugerechnet. Es wird Ihnen zugerechnet, diese Tat sieben Biere getrunken zu haben.
Das ist zunächst mal was ganz Simples, das nennen die Leute im Anschluss an Pufendorf, spricht man von imputatio facti,
das ist Zurechnung der Tat. Ich habe da so eine schöne Tabelle, Frau Eschbaum hat mir das so prima gemacht.
Da haben wir imputatio facti, Zurechnung. Zurechnung, erster Stufe nenne ich das, das ist aber keine korrekte Übersetzung,
sondern imputatio facti heißt Zurechnung der Tat. Es werden Ihnen die sieben Biere, die Sie getrunken haben, zugerechnet.
Jetzt könnte aber natürlich, ich wende mich jetzt nur an die jüngeren Männer, jetzt könnte natürlich Ihre Mutter kommen
und der Auffassung sein, das Trinken von sieben Bieren sei was schlechtes.
Und dann kriegt das Ganze einen neuen Aspekt. Wenn ich nur sage, Ihnen werden sieben Biere zugerechnet,
und der Wirt, der verlangt einfach nur die Bezahlung dafür und das sieht noch ganz neutral aus.
Und ursprünglich ist das Wort imputatio oder Zurechnung, bedeutet etwas ganz Neutrales.
Aber, wenn natürlich Ihre Mutter der Auffassung ist, dass sieben Biere sollten Sie nicht trinken, weil das zu viel ist,
dann kommt ein neuer Aspekt rein, dann kommt ein neuer Aspekt rein, ein neues Problem taucht darauf.
Und dieser neue Aspekt, der ist der, dass Ihnen das als etwas nicht so Gutes, ich will mich mal ganz vorsichtig ausdrücken,
als etwas nicht so Gutes zugerechnet wird. Und dieser neue Aspekt, der setzt eine ganze Menge voraus.
Und das haben dann einige Zeit später einen Mann namens Joachim Georg Darius im Jahre 1740
und noch in ein paar Aufsätzen, die er dann nachgeschrieben hat, im Jahr 1752, 1754.
Also so einige Zeit nach Pufendorf hat dieser Joachim Georg Darius, der war Professor an Jena und später war er Professor in Frankfurt-Oder.
Pufendorf war übrigens auch Professor, da war Professor in Heidelberg und später war er in Lund in Schweden.
Dieser Joachim Georg Darius, der hat das analysiert, was ich Ihnen gerade erzählt habe, wenn, ich rede mich wieder nur an die jüngeren Männer hier,
wenn Ihre Mutter Ihnen sagt, Junge, das solltest du nicht getan haben, ich rechne dir das als nicht so was Gutes zu.
Da haben wir als erstes, als erstes haben wir eine negative Bewertung dieser Tat.
Also wir haben die Tat, die Ihnen zugerechnet wird, du hast sieben Bier getrunken.
Und dann haben wir eine negative Bewertung dieser Tat. Diese Tat wird als schlecht hingestellt, von Ihrer Mutter jedenfalls.
Und es ist relativ egal, was für ein System Sie haben, aber Ihre Mutter hat da, ich will gar nicht über die Vernunft oder Unvernunft des Systems,
das Ihre Mutter da benutzt, darüber will ich gar nicht reden, wir haben ein solches System.
Und in diesem System steht unter anderem drin, du sollst nicht sieben Bier auf einmal hintereinander trinken.
Und das wird um im 18. Jahrhundert, wird das System der Gebote, Verbote und Erlaubnisnormen, gewissermaßen als logisches System ausgearbeitet.
Presenters
Prof. Dr. Joachim Hruschka
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:26:20 Min
Aufnahmedatum
1999-05-19
Hochgeladen am
2018-05-04 15:22:04
Sprache
de-DE