Ich werde Ihnen also die TU DC als Fragestellung im 18. Jahrhundert vorstellen, insbesondere eben vor dem Hintergrund des Erdbebens von Lissabon und dann ein bisschen zeigen, wie sich diese Fragen in der zeitgenössischen Literatur dann niederschlagen.
Wenden wir uns nun dem Ereignis zu, dass es eigentlich geht und dass den philosophischen Optimismus in Europa grundlegend in Frage stellt,
das Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755, dem katholischen Feiertag aller Heiligen.
Also ein passendes oder unpassendes Datum, je nachdem aus welcher Perspektive man es betrachtet.
Drei aufeinanderfolgende Erdstöße zerstören in nur zehn Minuten weite Teile Lissabons.
Das zu diesem Zeitpunkt mit ungefähr 275.000 Einwohnern nach London, Paris und Neapel die viertgrößte Stadt Europas ist.
Mindestens genauso schlimm oder gar noch verheerender als das Erdbeben selbst sind die Feuer, die unmittelbar nach dem Erdbeben ausbrechen
und zum Teil auch von Plünderern gelegt werden, um ihre Spuren zu verwischen.
Viele Gebäude werden erst durch die Feuer zerstört, also der Königliche Palast zum Beispiel oder das Opernhaus Lissabons.
Nicht genug mit den Feuern, die auch eine Woche nach dem Erdbeben noch nicht vollständig gelöscht sind.
Das Erdbeben führt auch zu drei Tsunamiewellen für eine halbe Stunde nach diesem Erdbeben, denen viele Menschen zum Opfer fallen,
die versucht hatten, sich auf Boote auf dem Fluss zu retten und die dann von diesen bis zu sechs Meter hohen Tsunamiewellen in den Trut gerissen werden, weil die Boote kentern.
Sie sehen auf dieser Darstellung auch alle drei Elemente des Erdbebens, also die Häuser, die zusammenbrechen auf der rechten Seite,
die kenternden Schiffe im Fluss und auch das Feuer.
Die Anzahl der Opfer kann man auch heute noch nicht mit völliger Sicherheit feststellen, das wird wohl nie möglich sein.
Die Angaben schwanken zwischen 10.000 und 30.000 Todesopfern, die während oder durch die Folgen des Erdbebens von Lissabon zu Tode gekommen sind.
Zunächst muss man sich einmal ganz kurz die Frage stellen, welchen Stellenwert Erdbeben allgemein überhaupt in der damaligen Zeit haben.
Wurden Erdbeben interpretiert? Dabei kann London als Beispiel dienen.
In London wurde 1750, also nur fünf Jahre vor dem Erdbeben von Lissabon, von zwei leichten Beben erschüttert.
Also wirklich geringfügig im Vergleich zu dem, was in Lissabon passiert ist, was die Menschen aber aufschreckte in London.
Das war der mysteriöse und erschreckend präzise Abstand zwischen diesen beiden Erdbeben, der genau einen Monat betrug.
Schnell machten sich Prophezeiungen breit in London, dass nach einem weiteren Monat ein drittes und gleich stärkeres Beben London vollständig zerstören würde.
Das führte zu landesweiter Verunsicherung. Die Erdbeben von London wurden dann auch sehr schnell zum Mittelpunkt, vor allem in Predigten.
Und Sie haben hier ein Beispiel von Thomas Newman, einen kurzen Ausschnitt, die Sünde und Schande, die Vorsehung zu missachten.
Gottes Ziel wird durch seine Heimsuchungen klar offenbart. Sie geschehen, um gegen unsere Sünden auszusagen und um uns dazu zu bringen,
selbst gegen unsere Sünden als böse und bitter auszusagen. Sie geschehen, um uns zurück zu seinem Gesetz zu führen,
das nichts anderes ist als die Vorschriften göttlicher Weisheit und die Forderungen göttlicher Herrschaft und so weiter.
Erdbeben werden ganz häufig, so wie hier bei Newman, als göttliche Warnung interpretiert.
London wird als Sodom der Gegenwart charakterisiert, das nun die Strafe Gottes zu erwarten hat, wenn die Londoner sich nicht auf der Stelle Tugenzimmer verhalten.
Zwar gibt es auch zu diesem Zeitpunkt natürlich bereits naturwissenschaftliche Erklärungsversuche, das sind ja im Zeitalter der Aufklärung.
Diese werden jedoch meistens der primären, der göttlichen Ursache des Erdbebens untergeordnet und werden dann also zu einer beigeordneten sekundären Ursache.
Man kann zwar erklären, wie so ein Erdbeben zustande kommt naturwissenschaftlich, aber Gott hat das alles zu einem bestimmten Zweck geordnet.
Und letztendlich ist es Gott, der die Welt so geschaffen hat, dass darin auch Erdbeben als Strafe Gottes stattfinden können.
Ähnliche Erklärungsmuster finden wir zunächst auch in Lissabon.
Kurz nach dem Ereignis kursieren beinahe schon religiöse Mythen, die eine Interpretation dieses übernatürlichen, göttlichen Ursprungs unterstützen.
So wird zum Beispiel behauptet, eine Nonne, Maria Juana, sei Jesus in einer Vision erschienen,
der habe sein Missfallen über die Sünden Lissabons geäußert und die Bestrafung der Stadt angekündigt.
Nur durch die Gebete dieser frommen Nonne konnte das Beben dann letztlich bis nach ihrem Tod verschoben werden.
Die ist dann im März 1755 verstorben, im November dann das Erdbeben von Lissabon.
Das Erdbeben gilt in vielen Predigten der Zeit als Instrument, das ein zorniger Gott strafend einsetzt, um die Abergläubischen Lissaboner zu belehren.
Viele der Reaktionen sind natürlich auch und in erster Linie geprägt von Entsetzen über das grausame Schicksal der Einwohner.
Es gibt sehr viele Zeitzeugenberichte, die erzählen, wie sie durch die Straßen laufen und dann sterbende Frauen und Kinder beobachten
oder der Leichengeruch, der sich in der Stadt breit macht, auch durch die Feuer und so weiter.
Die Frage, ob ein zürnender Gott hilflose Frauen und Kinder töten darf, wird virulent in der Zeit.
Wir sind damit natürlich mitten in der Theodizee-Debatte. Von Goethe zum Beispiel wissen wir, dass der damals 6-Jährige sich zum ersten Mal in seinem Leben in seiner Gemütsruhe ernsthaft erschüttert fühlt.
In Dichtung und Wahrheit schreibt er, der Knabe, also er selbst war nicht wenig betroffen, Gott, der Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erden,
hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichen Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen.
Voltaire schreibt am 24. November einen Brief an den Bankier Trochain in Lyon.
Er hat gerade erst von dem Erdbeben erfahren, es hat ein paar Wochen gedauert, bis das das übrige Europa tatsächlich erreicht hat.
Unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Nachricht adressiert er den Brief fälschlich zuerst nach Lissabon, bevor er dann die Adresse in Lyon verbessert.
Presenters
Prof. Dr. Werner Blessing
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:29:57 Min
Aufnahmedatum
2005-11-10
Hochgeladen am
2011-04-18 16:55:54
Sprache
de-DE