Die Informatik, meine Damen und Herren, ist eine bemerkenswerte Wissenschaft. Sie wurde so etwa Mitte der 60er Jahre quasi am Reißbrett konstruiert.
Die Mutterdisziplinen waren Mathematik, Logik, Elektrotechnik und Nachrichtentechnik.
Es hat nicht lange, aber doch eine Weile gedauert, bis sich ein eigenständiges Forschungsprogramm und eine eigene Methodik entwickelt hat.
Wie Sie wissen, ist die Informatik aber vor allem auch eine Wissenschaft von enormer praktischer Bedeutung. Sie lebt von und sie lebt durch ihre Anwendungen.
Heute Abend geht es um eine Anwendung aus den Geisteswissenschaften. Mit den Mitteln der Informatik, von der Digitalisierung und Bildverarbeitung bis zur Darstellung der Gegenstände,
das sind hier mittelalterliche Weltkarten, mit logischen Mitteln soll die Interpretationsarbeit auch auf neue Weise unterstützt werden.
Wir stellen Ihnen ein interdisziplinäres Projekt vor, bei dem es auf die bestmögliche verfügbare Qualität der Daten ankommt,
die Geschwindigkeit der Verarbeitung, die Veränderbarkeit und die Vernetzung im digitalen Medium.
Dazu haben wir auch eine Webseite eingerichtet. Sie sehen hier die Startseite, die ist auch öffentlich zugänglich.
Im Mittelpunkt dieser Webseite steht eine multimediale Datenbank mit vielfältigen Hilfsmitteln.
Die Sichtweise auf dieses gesamte Gebiet ist, dass wir die mittelalterlichen Weltkarten als kognitive Karten ansehen.
Diese Webseite soll die Forschungsarbeit dadurch unterstützen, dass sie eine strukturierte Sammlung von einschlägigen solchen Karten in digitaler Bildform anbietet,
dass sie aber auch Beschreibungen der Gegenstände anbietet, dass zahlreiche Hilfsmittel zur Eingabe zur Suche, zur Auswahl, zur Bearbeitung und zur Ausgabe da ist.
Das Wichtigste, darauf werden wir später noch einmal kommen, ist das Ziel, einen Stellenkatalog zum Vergleich dieser Karten und ihrer Teile durchzuführen.
Den Gegenstandsbereich selber und die Forschungsfragen wird Ihnen jetzt Herr Kollege Kugler vorstellen.
So, Herr Görz stand für die Logik, ich stehe für die Philologik, das heißt also die Unlogik, wenn Sie so wollen, und stelle nun den Gegenstandsbereich der mittelalterlichen Weltkarten aus der Sicht eines Philologen da,
der sich mit auch grafischen, geografischen und Bildsystemen von der Textseite, von der Buchseite her auseinandergesetzt hat.
Auch mittelalterliche Weltkarten, die sogenannten mappemundi, lassen sich in unserem Zusammenhang als Merck Schematar der Wissensordnung betrachten und bedenken.
Die lateinischen Enzyklopädien des Mittelalters, also Codices vom 7. bis zum 15. Jahrhundert, enthalten viele solcher Merck Schematar.
Die meisten mappemundi sind kleine, mit wenigen Strichen ausgeführte Skizzen, die in den laufenden Buchtext eingelegt sind.
Es finden sich auch größere, detailreicher ausgeführte Zeichnungen, die eine ganze Buchseite ausfüllen und aufwändig koloriert sein können.
Ich mache mir hier das Logo an, damit Sie schon sehen, das ist eine von diesen mappemundi, von denen ich jetzt hier spreche.
Seit dem 13. Jahrhundert sind überformatische Weltkarten überliefert, deren Ausdehnung jedes Buchformat sprengt.
Die umfänglichste, aus dem Hochmittelalter in die Neuzeit gerettete mappemundi, die Epsdorfer Weltkarte,
besitzt eine Grundfläche von 3,6 x 3,6 m, also fast 13 m².
Sie ist mit etwa 2000 Bildern und lateinischen Bilderläuterungen besetzt.
Sie ist wahrscheinlich in den Jahren um 1300 im Lüneburgischen Heidekloster Epsdorf angefertigt
und im zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff auf Hannover vernichtet worden.
Auf der Grundlage von alten Buchausgaben, Fotografien und Nachzeichnungen,
konnte nun mit einem enormen Rechner-Einsatz, mit modernsten Rechnern, eine digitale Rekonstruktion der Karte hergestellt werden.
Eine Kooperation von Erlanger Philologen und Informatikern.
Passend ins Jahr der Informatik wird diese Karte in wenigen Wochen als Buch erscheinen.
Die größten Kartenbilder, wie die kleinsten Skizzen, sind nach relativ einfachen Grundschemataren angelegt.
Das am weitesten verbreitete Schema ist die sogenannte TO-Karte.
Wir sehen auf diesem Bild hier eine Buchillustration zu Salus Bellum Jugurtinum in einer Leipziger Handschrift des 12. Jahrhunderts.
Diese T-Karte, diese T-Form, das Bild zeigt den Orbis Terrarum, die bewohnbare Erdoberfläche,
und erteilt in die drei Kontinenten Asien, Europa, Afrika.
Die Karte ist, wie fast alle mittelalterlichen Kartenbilder, geostet, das heißt, Osten ist oben.
Die obere Kreishälfte wird vom Kontinent Asien eingenommen, das linke untere Viertel von Europa, das rechte untere Viertel von Afrika.
Die drei Kontinente sind vom ringsumlaufenden Wasserband des Ozeans umschlossen
und durch zwei tiefförmig angeordnete Wasserbalken voneinander getrennt.
Die Längsachse, also der Schaff des Buchstabens T, steht für das Mittelmeer.
Der Querbalken des T verdankt sich einer Regel, wo es die realgeografischen Gegebenheiten stilisierenden Appriviatur.
Der querliegende Wasserbalken setzt sich aus den Wasserläufen des Tanaes, hier auf der Karte ist er sogar angezeigt,
des Tanaes, also des Don, dann dem Schwarzen Meer, dem Nil, und nach Süden zu, dem Nil-Oder und dem Roten Meer zusammen
und ist nun mit einer souveränen Geradlinigkeit nach beiden Seiten bis in den umlaufenden Kreis des Ozeans hinein verlängert.
So ergibt sich im O des äußeren Weltmeeres das T der Kontinente scheidenden Binnengewässer.
T im O. Es war der geniale Gelehrte Isidorf von Sevillea, der im Jahre 600 im damals westgotischen Spanien zum Bischof von Sevillea geweiht wurde.
Isidorf von Sevillea, der das T-O Schema mit durchschlagender Wirkung begründet und bedeutet hat,
dem Orbis terrarum sei die Form des tau, des griechischen Buchstabens tau, des T aufgeprägt
Presenters
Prof. Dr. Hartmut Kugler
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:30 Min
Aufnahmedatum
2006-11-02
Hochgeladen am
2017-07-06 14:23:24
Sprache
de-DE
Die mittelalterlichen Weltkarten, die Mappae mundi, erweisen sich in ihren ausdifferenzierten Großformen als Merkbilder von Wissensordnungen. In deren Bild-Text-Systemen sind Parameter der Ars memorativa und der christlichen Enzyklopädik wirksam geworden. Die graphische Darstellung der Erdoberfläche soll nicht linien- und flächentreu sein, sondern eine "Weltanschauung" demonstrieren. Die Mappae mundi sind in erster Linie als kognitive Karten zu verstehen. Der Vortrag gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil werden die Gestaltungsmuster der Mappae mundi, die Prinzipien ihres Aufbaus und ihrer Ausgestaltung erläutert. Es wird gezeigt, wie die Mappae mundi als Memorierschemata fungieren konnten, Ordnungsbilder der universalgeographischen und universalhistorischen Zusammenhänge darboten und nicht zuletzt auch als Andachtsbilder dienten.