4 - Fussball im Spiegel der Wissenschaft - Sportler, Fans und Medien aus religionsphilosophischer Perspektive [ID:489]
50 von 290 angezeigt

Ich möchte einfach heute Abend ein paar nicht ganz so schwer verdauliche und ein paar

nachdenkliche und hoffentlich auch ein paar vergnügliche Anmerkungen zur zweitschönsten

Nebensache der Welt machen. Vor allem auch darüber, was geschieht, wenn die Nebensache zur Hauptsache

zu werden droht, der Spaß im Fanatismus kippt, die Ironie in verzerrte Bilder vom

Leben, auch das gibt es. Doch zuvor ein kleiner Exkurs zum uralten Thema Spiel

und Religion. Das Spiel ist so alt wie die Menschheit und man weiß, dass die

Völker und Kulturen, die das Gegenüber von Sonne und Mond religiös als

Gegenüber von den Göttern der Sterne und der Sonne, als Gegenüber von Gut und

Böse inszeniert haben, dass sie den Ball erfunden haben als Abbild der Welt, die

sich zwischen Gut und Böse in einem Spiel um Leben und Tod bewegt. Sie sehen

auf der linken Seite die Sonnenaugen und auf der rechten die Mondaugen, die

halb geöffneten sind die Sonnenaugen, die rechten sind die Mondaugen.

Theo Stemmler hat vor einiger Zeit eine kleine Kulturgeschichte des

Fußballs vorgelegt, die sich auch mit den mythischen Anfängen beschäftigt.

Man kann die Beispiele zweier gegnerischer Mannschaften in

unterschiedliche Kulturen und Kontinente verfolgen, zum Beispiel nach

Mittelamerika, nach China und nach Japan. Während die aus dem alten China

überlieferten Spiele unstrittig Fußballspiele sind, hier sehen sie ein

Tor, handelt es sich bei den altamerikanischen eher um eine Art

Steißbeinspiel oder Hüftballern. Die haben den Ball sozusagen hier mit der Hüfte

geschlagen. Die Azteken und Mayas spielten mit einem aufgeblasenen Ball,

mit dem Hintern, ohne die Hände zu gebrauchen.

Auch hatten sie bereits Plätze, die für das rituelle Ballspiel ausgemessen,

markiert und vorgesehen waren. Das klassische Fußballspiel soll von den

Chinesen erfunden worden sein und zwar im dritten Jahrtausend vor Christus.

Zehn Spieler, zwei Tore. Das war schon vor 5000 Jahren Standard. Im siebten

Jahrhundert vor Christus kann man dann eine schriftlich festgehaltene

Enzyklopädie zum chinesischen Fußball nachweisen.

Sie beinhaltet alles, was das Herz eines Fußballtrainers höher schlagen lässt.

Spielregeln, taktische Hinweise, Spieleraufstellungen, die Aufgaben des

Mannschaftskapitäns und des Torhüters und circa elf Arten des Kickens und die

Regelverstöße. Auch der öffentliche Abschluss eines

Fußballspiels hört sich ziemlich modern an. Die Siegermannschaft erhielt

Geschenke, die Verlierer wurden mit Schimpfworten ja mit Prügel bedacht.

Der Ball erbildet den ganzen Kosmos ab in seiner Kontingenz. In diesem

wahnwitzigen Spiel des Lebens und ums Leben, wo in Bruchteilen von Sekunden

sich Glück und Unglück, Sieg und Niederlage, Tod und Leben entscheiden.

Das Spiel ist tiefer betrachtet die Feier der Kontingenz der Welt und in ihm

inszeniert sich die Dynamik von hin und her hervorbringen und gehen lassen, machen

und wiederfahren. Jedes Spiel basiert auf wenigen

grundlegenden Gesetzen. Kein Spiel ohne ungewissen Ausgang. Um überhaupt zu

einem Spiel zu werden, brauchen die Spieler Alternativen.

Kein Spiel ohne Freiwilligkeit. Wer zum Spiel gezwungen wird, spielt nicht mehr.

Kein Spiel ohne Regel. Alle Spiele funktionieren nach erstaunlicherweise

ähnlichen Gesetzen, die älter sind als die zehn Gebote. Gegenüber den Regeln

eines Spiels, sagt Paul Valery, ist kein Skeptizismus möglich.

Kein Spiel auch ohne Schein. So tun als ob. Falschspieler jonglieren mit sein und

schein und gewinnen mit Betrug. Warum aber spielen wir, warum spielen alle

Völker? Spiele sind wie Stufen, sagt eine alte Weisheit, die der Geist in die

monströse Wirklichkeit haut, um Tritt zu fassen. Das Spiel ergänzen die

Presenters

Prof. Dr. Johanna Haberer Prof. Dr. Johanna Haberer

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:27:28 Min

Aufnahmedatum

2006-02-07

Hochgeladen am

2017-07-06 14:31:19

Sprache

de-DE

Tags

Fussball Wissenschaft Religion
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen