Im Rausch des Lebens.
Darum soll es gehen.
Es beginnt mit einem Prolog.
Für die meisten Angehörigen meiner Generation,
die in den Neunzigerhundertvierzigerjahren geboren sind,
war Nietzsche über lange Zeit tabu.
Er war durch den Missbrauch im Nationalsozialismus
so vollständig vergiftet, dass man nicht einmal von ferne
Interesse an seinen Schriften entwickelte.
Es waren Gefühle des Abscheus und des Ekels,
die sich mit seinem Namen verbannten.
Man wollte das nicht lesen, geschweige denn ernst nehmen und diskutieren.
Man meinte ja immer schon zu wissen, dass da nichts zu holen sein würde,
nur Irrationales, Antidemokratisches, Antisemitisches, Antifeministisches,
Elitäres, den Faschismus und seine Epoche Vorbereitendes,
die harschende Philosophie der NS-Zeit eben.
Die blonde Bestie, die Herrenrasse, der Übermensch,
Gott ist tot, der Wille zur Macht, vergiss die Peitsche nicht,
vielleicht noch die ewige Wiederkehr des Gleichen
und dann auch noch die Verknüpfung mit Wagner,
dem Liebling des Führers und der NS-Größen.
Das war so ziemlich alles, wovon man schon einmal gehört hatte.
Das reichte einem schon.
Ich kann mich nicht erinnern, dass sich in meiner Studentenzeit
Ende der Sechziger, Anfang der Siebzigerjahre
irgendjemand inhaltlich für Nietzsche interessiert hätte.
Das Urteil der pädagogischen und auch der öffentlichen Spruchkammer,
so Christian Niemeyer, 2002, war schon gefallen.
Umso größer war die Überraschung und das unglaubliche Staunen,
als man in den Achtzigerjahren feststellte,
dass es da doch Interessenten gab, und zwar dort,
wo man sie überhaupt nicht vermutet hatte,
bei kritischen Intellektuellen aus Frankreich und Italien.
Das hatte allerdings eine längere Vorgeschichte.
Giorgio Colli und Marzino Montinari bereiteten schon in den späten
Fünfzigerjahren eine neue italienische Nietzsche-Ausgabe vor.
Auf dem Umweg über die Auseinandersetzung mit dem Marxismus
hatten sie Nietzsche entdeckt, sich faszinieren lassen
und in der Auseinandersetzung mit den vorliegenden Editionen festgestellt,
dass der veröffentlichte und damit dann auch öffentlich rezipierte Nietzsche
in weiten Teilen ein Produkt bewusster Fälschung,
bewussten und gezielten Missbrauchs war.
Karl Schlechter und Richard Roos hatten bereits darauf hingewiesen.
Karl Schlechter hatte auch bereits eine philologisch veränderte
Edition herausgegeben, die die Alten vom Nietzsche-Archiv
unter der Leitung von Nietzches Schwester Elisabeth Förster Nietzsche
herausgegebenen Ausgaben als fake sichtbar machte.
Die Geschichte dieser Fälschungen und ihrer Hintergründe
ist hoch aufregend.
Es waren diese Fälschungen, durch die Nietzsche erst zum
Presenters
Prof. Dr. Eckart Liebau
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:49:48 Min
Aufnahmedatum
2009-11-11
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:27
Sprache
de-DE