Nun freyt euch, lieben Christen gemein, Und lasst uns fröhlich springen,
Das wir getrost und all in ein Mit Lust und Liebe singen,
Was Gott an uns gewendet hat Und seine süße Wunder tat,
Garteuer hat irs erworben.
So liebe Gemeinde, macht Dr. Martinus Luther im Jahr 1523 Lust zum Singen.
Mit Lust und Liebe singen, Sie haben gehört, ist ein Zitat,
Aus dieser ersten Strophe von Luthers erstem Kirchenlied, das alsbald auf Flugblättern rasante Verbreitung finden wird,
Und auch im ersten sogenannten Acht Liederbuch steht, das in Nürnberg gedruckt wird.
Sie sehen das hier. Der Gestus dieses Liedes ist der eines sogenannten Zeitungsliedes,
Wie es damas fahrende Sänger praktizieren, die sicherlich ähnlich wie ich eben auftreten auf dem Marktplatz
Und die Leute mit ihrem Gesang anmachen zur Aufmerksamkeit zwingen wollen,
Und da sicher nicht nur steif hinter dem Pult gestanden sind.
Im vormedialen Zeitalter präsentieren fahrende Sänger so Stories aus der Zeitgeschichte
Und verpacken diese in einen Song mit einer Melodie, die möglichst stark Aufmerksamkeit weckt.
Nichts anderes macht hier Luther, der auch die packende Melodie selber erfunden hat.
Seine Story ist die von Gottes süßer Wundertat zugunsten der Menschen,
Welche er in den folgenden neun Strophen zusammenreimt als weltverändernde Aktion Gottes mit der Strategie,
Seinen Sohn Jesus Christus zur Rettung der Menschheit auf die Welt zu schicken.
Und das wird nun erzählt als eine Story, die mir jedem Einzelnen persönlich zugute kommt.
Das geht dich an, heißt die Message.
Sie können lesen die zweite Strophe, dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren, geht es weiter.
Und dann nach einer zweiten Strophe, welche die Misere des in Schuld und Sünde gefangenen Menschen beschreibt,
Kommt die Wende, da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend über Maßen, er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen.
Die inhaltlichen Details dieses Liedes und seiner Story sollen uns heute nicht interessieren.
Mit Lust und Liebe singen ist mein Thema, und das ist ja ein Zitat aus dem Lied Einstieg.
Beschäftigen wir uns also mit der Anmoderation, wie man im Medienzeitalter sagt.
Nun freut euch lieben Christen gemein, das ist ein aufmunternder Appell an die Zuhörer, die als Christen gemein, also als Christen Gemeinde angesungen werden.
Und lasst uns fröhlich springen, ist das eine Aufforderung zum Ausflippen?
Fröhlich springen meint doch wohl tatsächlich ausgelassen herumtanzen mit diesem und mit jener aus der Gemeinschaft der Mitfeiernden.
Ich stelle mir eine Szenerie vor, wie etwa beim Tanz auf der Berliner Mauer vor 20 Jahren. Fröhlich springen.
Bitte machen sie sich klar, dass Luther mit so einem Lied die Botschaft tatsächlich auf die Marktplätze tragen will, er denkt da nicht an einen Messgesang in der Kirche.
Dass wir getrost und all in ein mit Lust und Liebe singen. Die Freude und Ausgelassenheit findet ein Ventil in gemeinsamen Gesang.
Das ist wie heutzutage im Fußballstadion, wo die Fans nach einem glücklichen Sieg getrost und all in ein, also im Unisono, ein Oh wie ist das schön oder so ein Tag so wunderschön wie heute von sich geben.
Luther suggeriert mit diesem Lied Einstieg, dass er eine Story zu bieten hat, die alle zum Ausflippen und zum Singen bringt.
Mit Lust und Liebe können die Christen singen, wenn sie sich vor Augen stellen, was der liebe Gott für sie bewerkstelligt hat.
Mit Lust und Liebe singen die Christen, wenn sie die Wände erinnern, die Gott selbst herbeigeführt hat, um die Menschen aus ihrem Lebensverhängnis zu befreien.
Mit Lust und Liebe singen ist eine der einprägsamen Sprachschöpfungen Martin Luthers.
Er ist Spezialist für solche Paarformulierungen, die durch Alliteration griffig sind, Lust und Liebe.
Andere Beispiele davon ich singen und sagen will, mit Fried und Freud fahre ich dahin.
Bei Gott gilt nichts, denn Gnad und Gunst, das sind alles Zitate aus Lutherliedern.
Gnade und Wahrheit mit Vokalklangverdopplung wäre analog zu nennen aus dem Sprachbereich von Luthers Bibelübersetzung.
Solche Formulierungen haben sozusagen eingeschlagen, sind prägend geworden für die Sprachwelt des Protestantismus.
Mit Lust und Liebe singen kann man als Signee nehmen für den Protestantismus als Singbewegung.
Gerade als lustvolle Singbewegung hat die Reformation ein ekstatisches Potential, das im Laufe der Kirchengeschichte tendenziell domestiziert wird, gebändigt wird, aber auch immer wieder neu durchbricht.
Heute will ich anhand einiger Liedstation durch die Jahrhunderte diesem ekstatischen Potential nachspüren.
Zunächst nochmal Martin Luther.
Dass er sein deftig formuliertes Mit Lust und Liebe singen wirklich so meint, belegt er durch die Gestalt der Melodie.
Schon der Anfang ist ungewöhnlich.
Im Zeitkontext gewöhnlich wäre etwa zu singen nun freut euch lieben Christend mein.
Also viermal dieselbe Note am Anfang.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:17:25 Min
Aufnahmedatum
2009-11-18
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:27
Sprache
de-DE