Ja, vielen herzlichen Dank für die Einführung, für die Einladung. Ich finde es ganz schön mal
in Erlangen zu reden über das, was in Nürnberg zu sehen ist. Wäre auch schön gewesen vor Ort,
aber das können wir nachholen, wenn Corona dann irgendwann mal vorbei ist. Ich fand das immer
sehr spannend. Es gab ja auch sehr kritische Stimmen. Wir haben diese Arbeit 2001 installiert
mit dem Künstler Raphael Rheinsberg und viele fragen, was soll das da in der Eingangshalle?
Es erfüllt Gott sei Dank den Zweck. In der Eingangshalle hat es zu viel Licht,
um fragnile historische Kunst zu zeigen. Also konservatorisch ist das schon idealer Ort,
um die Straßenschäden zu zeigen. Aber hinter diesen Straßenschäden steckt viel mehr. Und
für mich war es auch eine wunderbare Begegnung mit ganz vielen neuen Aspekten, die ich eigentlich
jetzt erst in Vorbereitung des Vortrags kennengelernt habe. Dafür sind ja solche
Vorträge auch da. Und es ist eine wunderbare Möglichkeit, auch immer wieder mal deutlich zu
machen, wofür die Geisteswissenschaft eigentlich da ist. Das heißt immer so schön gesellschaftliche
Relevanz, auch bei den Museen. Und ich glaube, in der Beschäftigung mit einer solchen künstlerischen
Arbeit wird deutlich, dass es vielleicht auch unsere Aufgabe ist, der Gesellschaft und der Politik zu
zeigen, welche Konsequenzen gewisse Handlungen haben. Wenn ich Straßenschilder umbenenne,
dass das nicht einfach jetzt irgendein Akt ist, sondern dass das mit unserem Geschichtsbild zu
tun hat, mit unseren, ich sage jetzt, ideologischen Vorstellungen. Und ich glaube, da ist es immer
wieder sehr sinnvoll, einen historischen Kontext aufzuzeigen. Insofern ist das vielleicht eine
ganz gute Inspiration, aber auch eine Warnung davor, was mit der Umbenennung von Straßenschildern so
alles passieren kann. Dafür ist die Arbeit von Raphael Rheinsberg ideal geeignet.
Der 1943 geborene und 2016 verstorbenen Künstler Raphael Rheinsberg war ein Spurensucher, ein
Archäologe des Alltags. Nach seiner Ausbildung als Former und Gießer und seine Tätigkeit als
Werftarbeiter in Kiel, war er ab 1979 als freischaffender Künstler in Berlin tätig. Er war und blieb ein
gesellschaftskritischer Außenseiter der Kunstszene und begann in den 1970er Jahren mit dem Sammeln von
Fundstücken aller Art, die er in akkurat geordneten künstlerischen Arrangements vor dem Verfall und
vor dem Vergessen bewahrte und zu historischen Monumenten verdichtete. Hier haben Sie den
Gießer und Werftarbeiter. In der Tradition des Tataismus und in der Nachfolge von Kurt Schwitters
oder Marcel Duchamp fokussierte er sein Interesse auf abgelegte Dinge und Geschehnisse des Alltags.
Die von ihm in den 1970er Jahren inoffiziell bewohnten, bzw. als geduldete Lagerräume in
Besitz genommenen Gebäude füllten sich mit Fundstücken und Objekten des Alltags. Viele
der ersten Arbeiten werden im öffentlichen Raum präsentiert, sind damit keine Museumsobjekte,
sondern sollen das öffentliche Nachdenken und den gesellschaftlichen Dialog anregen.
Abgelegte, nutzlos gewordene Dinge unterzieht Rheinsberg einem Wertewandel. Aus Fund- und
Bruchstücken werden Erinnerungsstücke. Diese künstlerische Neukodierung entspricht dem Geist
des Wertewandels in der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, von der Kriegskindheit zur
Würdigung der MS-Vergangenheit, zu den gesellschaftlichen Umbrüchen der 1968er Bewegung
und schließlich zu Mauerfall und deutscher Wende. Kamen in den frühen Werken vor allem Trauer und
moralische Empörung zum Ausdruck, kennzeichnen die Installationen und Präsentationen der deutschen
Wendezeit ein satirisch doppelbödiges Spiel mit Begriffen und Werten in der künstlerischen
Aufbereitung von Relikten der DDR-Vergangenheit. Im Zuge der Wende bei Seite geschaffte Objekte
des Alltagslebens holt Rheinsberg aus dem Dunkeln und stellt sie in seinen Präsentationen auf der
öffentlichen Bühne in das Scheinwerferlicht des Kulturbetriebs zur Diskussion. Die Straßenschäder
Ostberlins spielen dabei eine Schlüsselrolle. 1993 und 94 installierte er auf der Art Colon,
später auch in Kiel und im Gropiusbau in Berlin, seine Bodenarbeit Gebrochen Deutsch. Es handelt
sich dabei um seine ersten Arbeiten zur deutsch-deutschen Vergangenheit. Auf 20
Quadratmetern legte der Künstler hunderte von Bruchstücken von Straßenschildern aus,
die Rheinsberg in Ostberlin gesichert hatte. Er sagt, keinem Vandalismus fielen sie zum Opfer,
sondern der Schildernorm der Wiedervereinigungsgewinner. Das ist eine politische
Aussage. Die DDR-Schrift entsprach den westlichen Straßenschildnormen ebenso wenig wie das DDR
spezifische Trägermaterial der starren Polymeren Kunststoffe, das unter dem legendären Markennamen
Presenters
Prof. Dr. Daniel Hess
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:22:45 Min
Aufnahmedatum
2021-11-16
Hochgeladen am
2021-11-18 15:28:12
Sprache
de-DE