Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Guten Abend, meine Damen und Herren.
Ich will mit den folgenden Bemerkungen nur auf einige Aspekte der Prophetie im lateinischen Westen aufmerksam machen
und dabei nun die Grundlagen, dann die apokalyptische und die politische Dimension mittelalterlicher Prophetie
und ihre Funktionen einschließlich der Frage nach wahr und falsch erörtern.
Im lateinischen Westen kennt man im Wesentlichen dreierlei Arten von Propheten, Exegeten, Frauen und Astrologen.
Den Terminus Prophetie definierten vor allem Schriftsteller der Spätantike und des frühen Mittelalters.
Cassiodor sah Prophetie als göttliche Eingebung, die auf eintretende Geschehnisse verweist.
Wenig später präzisierte Gregor der Große, gestorben 604, dass die Prophetie nicht nur das Künftige anzeigen,
sondern auch den verborgenen Sinn der Dinge erhellen könne.
Dieser weite Begriff, künftiges und verborgenes, hat die Tradition im lateinischen Westen bestimmt.
Viele Texte kündigen politische und kirchliche Ereignisse an und haben dabei sowohl eine Zukunfts- wie eine Tiefendimension im Blick.
Die Schriften des Pseudo-Methodios aus dem syrischen Milieu oder die in Byzanz im 4. bis 5. Jahrhundert entstandene Sibylla Tiburtina,
die im 11. Jahrhundert im Westen großen Einfluss erlangte, unterscheiden sich in diesem Punkt nicht grundsätzlich.
In ihnen wird ein Friedensherrscher, heiße er nun Entkaiser oder nicht, angekündigt, der dem Antichrist und dem Weltende vorangehe.
Diese und ähnliche Prophetien erreichten im 12. und 13. Jahrhundert ihren Höhepunkt.
Der Name Sibylla wurde dabei von den antiken zwölf Seeherinnen, die zuweilen zwölf Propheten gegenübergestellt wurden, übernommen.
Im hohen Mittelalter gewannen viele Prophetien politische Aktualität, die Vorhersage des Falls von Jerusalem oder von Akko
oder die Ankündigung von Friedenszeiten seien beispielhaft nochmals genannt.
Die Weissagungen selbst, oft auch als Vatizinien bezeichnet, erhielten größeres Gewicht, wenn ihre Auffindung von außergewöhnlichen Umständen begleitet wurde.
Vielfach schrief man Vorhersagen auch immer wieder neu.
Damit wurden die Texte aktualisiert und konnten längerfristig prognostisch eingesetzt oder rezipiert werden.
Ebenfalls im hohen Mittelalter verbreiteten sich Werke namentlich bekannter Autoren und Autorinnen.
Hildegard von Bingen beschwor in Visionen den Verfall von Gesellschaft und Kirche und verkündete Läuterungen.
Symbolisten wie Rupert von Deutz, Honorius Augustus Dunensis, Gerhard von Reichersberg und andere entwarfen geschichtstheologische Visionen,
die Prophetie und Heilsgeschichte miteinander verbanden.
In diesem Zusammenhang gehören auch Denker wie Joachim von Fiore, auf den ich noch eingehen möchte.
Die Schriften dieser und anderer Autoren wurden häufiger zusammen mit den sibelinischen Texten und Sentenzen überliefert und gelesen.
Auf dieser Tradition baute die noch zu würdigende politische Propaganda auf.
Die Bibel kündet vor allem in der geheimen Offenbarung der Apokalypse vom Ende der Zeiten.
Entsprechend häufig kommentierte man dieses Buch im Mittelalter.
Dies gilt für den lateinischen Westen, denn die Apokalypse fehlte im Osten in vielen Bibelhandschriften.
Die zahlreichen Kommentare des lateinischen Westens beeinflussten mannigfach das Geschichtsverständnis.
Besonders einflussreich wurde von den frühen Kommentaren derjenige des Tychonius,
der sich bemühte, vom Buchstaben zum Geist und zur Vielfalt der Bilder und von dort zur Einheit des Sinnes der Apokalypse vorzudringen.
Er deutete die Visionen dieses Buches, vor allem die sieben Siegel, Posaunen und Zornschalen,
als Zeichen, die mehrfach dasselbe rekapitulieren und also keine chronologischen Aussagen darstellen.
Die insgesamt elastische Auslegung wurde im frühen Mittelalter weitergetragen,
vor allen Dingen durch Caesarios von Arles oder durch Beatus von Liebana.
Hier sehen Sie das himmlische Jerusalem auf einer Darstellung einer Apokalypse, Kommentarhandschrift,
heute aufbewahrt in New York, das himmlische Jerusalem mit zwölf Toren dargestellt.
Gerade der Kommentar des asturischen Mönches Beatus hat wegen der ganz singulären Bilder in der späteren Überlieferung bis heute beeindruckt,
denn die Darstellungen des himmlischen Jerusalem suchen unter künstlerischen Aspekten ihresgleichen, vor allen Dingen, was das frühe Mittelalter betrifft,
wenn Sie noch weitere Darstellungen einerseits vom jüngsten Gericht aus der gleichen Handschrift zur Kenntnis nehmen wollen,
oder aber auch die eindrucksvolle Darstellung der Hölle.
Die mit sehr vielen Konkrezionen in den Bildern des Beatus von Liebana immer wieder aufscheint.
Allerdings hat der asturische Mönch Beatus langfristig nicht die größte Wirkung erzielt.
Andere Kommentare akzentuierten anders.
Im angelsächsischen Bereich formulierte beispielsweise Beda Venerabilis einen sehr knappen Kommentar zur Apokalypse.
Langfristig setzten sich die inhaltsreicheren Erläuterungen in der Tradition eines Ambrosius Outpertus durch.
Presenters
Prof. Dr. Klaus Herbers
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:29:59 Min
Aufnahmedatum
2011-11-23
Hochgeladen am
2012-04-19 12:14:08
Sprache
de-DE
Prophetie wurde im mittelalterlichen lateinischen Westen als göttliche Eingebung verstanden, die auf eintretende Geschehnisse verweist und nicht nur das Künftige anzeigt, sondern auch einen verborgenen Sinn der Dinge erhellt. Diese weite Definition hat die Tradition im lateinischen Westen bestimmt. Viele prophetische Texte kündigen politische und kirchliche Ereignisse an und haben dabei eine Zukunfts- und Tiefendimension im Blick. Die zahlreichen Deutungen zur Geheimen Offenbarung, der Apokalypse, zeigen eine Verknüpfung von Endzeit und Geschichte. Im hohen Mittelalter besaßen viele Prophetien politische Aktualität, es verbreiteten sich Werke namentlich bekannter Autoren und Autorinnen wie Hildegard von Bingen oder Joachim von Fiore, die eine große Wirkmächtigkeit erlangten. Falsche Propheten lassen sich eher versteckt in der historiografischen Überlieferung oder in Prozessakten finden; als beispielhaft kann hier Johanna von Orléans gelten. Falsche - oder gefälschte - Prophetien konnten aber auch andere Funktionen übernehmen: Gute Prognosen zu produzieren "hebt die Stimmung" und schafft Unterstützung, zum Beispiel für einen Kreuzzug. Vor diesem Hintergrund konnten Prophetien des mittelalterlichen lateinischen Westens mitunter eine ähnliche Rolle spielen wie heute, wenn wir uns nur die zahlreichen Propheten anschauen, die in den Medien immer wieder nach ihren Blicken in die Zukunft gefragt werden. Dabei scheint heute noch unwichtiger, ob die Prophetie eintrifft - aber die politischen Aspekte sind dennoch bei genauerem Hinsehen erkennbar.