Gut, dann die Thematik der Vorlesung ist heute klar. Wir fangen aber an mit einer
Einschätzung einer etwas anderen Lage. Wir kommen gegen Ende des 13. Jahrhunderts
in das Zeitalter der Dokumentenexplosion. Bei der Entstehung des
Kurfürstens oder des Kurfürstentums hatten wir das Problem, dass wir nicht
genügend Dokumente hatten, die uns wirklich erzählt haben, was los war.
Jetzt kommen wir genau in die umgekehrte Bredouille. Jetzt haben wir viel zu viele
Dokumente, um wirklich anerkennen oder zu erkennen zu können, was los ist.
Die Folge davon ist, dass unsere wissenschaftliche Literatur, wenn sie
überhaupt das Spätmittelalter und insbesondere die Königswalm-
Spätmittelalter erörtert, sich sofort in Detail verliert.
Wir kriegen endlose Auflistungen von welchem Vertrag, mit welchen Bedingungen,
wurde zwischen welchen Parteien, wo, welcher Brief schickte wer, wem usw.
Das heißt, man kann sich sehr leicht in Details verlieren, ohne dass
überhaupt die Verfassungsentwicklung einen für sich klar daraus hervorgeht.
Zweitens ist das eine Zeit, die endlos viele Wahl-Abmachungen im Vorfeld der
Wahl kennt, Wahlbündnisse, taktische Wahlbündnisse usw. usf.
Diese Dinge sind verfassungsrechtlich keine Ursachen, sie sind Symptome einer
neuen Lage, nämlich dass es nur sieben Kurfürsten gibt und die Bündnisse,
meinetwegen drei Leute, einigen sich, dass sie nur gemeinsam die Stimme abgeben
mit der Folge, dass natürlich, wenn sie einen Vierten dazu gewinnen, dann haben
sie die Wahl für sich entschieden usw. usf.
Diese ganzen Verträge setzen, wie selbstverständlich, die Kurfürstenwahl
voraus, ansonsten ist es sinnlos einen Dreierblock oder einen Viererblock aufzubauen,
aber sie sagen, eo ipso, sehr wenig zu einer Verfassungsentwicklung oder zur
Verfassung selbst aus. Ein Beispiel, damit sie kapieren, worum es geht.
Am 11. September 1273, im Vorfeld der Wahl Rudolfs von Habsburg, haben sich die
Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier zuzüglichfalls geeinigt, dass sie sich
einmütig und einträchtig verhalten wollen, nämlich wenn drei von ihnen
einig sind, dann folgt der vierte. Das heißt, sie haben die Mehrheit im
Kurkule. Was die Ereignisgeschichte angeht, ist dieser Vertrag vollkommen
nebensächlich. Rudolf wurde, ich weiß nicht, entweder einstimmig oder so gut wie
einstimmig gewählt, also dieser Vertrag spielt bei der Wahl so gut wie gar keine
Rolle. Aber es zeigt uns, dass erst einmal die Tatsache, dass es nur sieben Wähler
geben kann, völlig selbstverständlich die Basis eines solchen Abmachung bildet,
denn ansonsten wäre es sinnvoll. Ein Viererblock ist nur sinnvoll, wenn es
exakt sieben Wähler und keine mehr gibt. Dann habe ich die Wahl gewonnen. Wenn
drei von uns einig sind, dann zieht der vierte mit. Also, einmal ist es sinnlos,
wenn es nicht sieben Wähler gibt und zweitens ist es sinnlos, wenn Mainz,
Köln, Trier und Pfalz nicht zu diesen sieben Wählern gehören.
Das heißt, dieses Bündnis setzt, ohne sich groß zu fragen, ohne überhaupt die
Sache zu problematisieren, die Kurfürstenwahl durch exakt sieben
Kurfürsten stillschweigend voraus. Ändert an der Wahlverfassung gar nichts, aber wir
haben immerhin ein Beleg 1273 und bitteschön, dass es die erste Königswahl
nach der Entstehung des Kurfürstensubs 2.157 gibt, wo fraglos die Kurfürsten die
einzigen sind, die den König wählen können. Das ist für alle Revolutionstheoretiker
ein kleines Problem, denn diejenigen, die 1257 an der großen
Verfassungsrevolution beteiligt waren, sind alle noch am Leben. Und die wissen
ganz genau, was 1257 los war. Wenn 1257, wie Giese sagt, eine einmalige
Notlösung für das Problem, wie wählen wir einen König, war, dann wissen sie
alle 1273 und könnten theoretisch sagen, aber Braunschweig auch oder so was
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:00:00 Min
Aufnahmedatum
2009-06-09
Hochgeladen am
2025-09-30 08:52:01
Sprache
de-DE
Quellenlage: Wahlbündnisse und ihre verfassungsrechtliche Signifikanz Habsburgische Nachfolgepläne (1290 /91) Köln: Lage des Kurftirstentums, Andernacher Vertrag Erhebung Adolfs von Nassau Absetzungsmodelle der Kanonistik rcx lyrannus, rex inutilis Anwendung der Modelle (1245) Adolfs Absetzung Vorbereitende Schritte Absetzungsdekret der Kurfürsten Grund für die Mischung der kanonistischen Modelle Päpstliche Stellungnahme und Approbationsanspruch