Mir ist wichtig, dieses Thema nicht sofort bezogen auf die verschiedenen Formen von
sexueller Identität, auf die vielen für manche verwirrenden Begriffe zu lenken,
sondern zunächst mal zu begründen, warum dieses Thema sexuelle Vielfalt eben nicht
ein Luxusthema ist, nicht etwas ist, was sich Sexualpädagogen ausdenken und in
irgendwie westlich dekadenter postmoderner Manier unter Folk bringen,
sondern dass es ein Thema ist, was an die Grundsubstanz unserer freiheitlich
demokratischen Grundordnung, unserer Auffassung von Menschenwürde,
unsere Demokratie heranreicht. Ich möchte eingangs ein paar Anlässe, die es gibt,
die ich gerade schon angedeutet habe, über sexuelle Vielfalt zu reden, ansprechen,
dann etwas zum Sexualitätsbegriff sagen, weil das ganz wichtig ist, weil jeder subjektiv unter
Sexualität verschiedenes versteht und wir im sexualwissenschaftlichen pädagogischen Bereich
einen relativ breiten Sexualitätsbegriff haben. Davon abgeleitet ist dann der Begriff der sexuellen
Identität, wenn man nämlich das, was wir unter Sexualität verstehen, zum Einzelnen
hinholen, also zu seinem Selbst, seiner Identität, dann können wir von sexueller Identität reden,
die verschiedene Dimensionen hat und wenn wir dann noch dazu kommen, ich habe eine halbe Stunde,
etwas zur Sexualität, Sexual Identität und Pädagogik und einige Argumente im Streit um
sexuelle Vielfalt zu sagen. Das muss aber nicht unbedingt sein, ich nehme an, sie kriegen auch
die PowerPoint-Präsentation in der Dokumentation und können möglicherweise die beiden letzten Dinge
auch nachlesen. Eine gewichtige Einleitung ist die, wenn man auf den jüdischen Sozialphilosophen,
Theodor W. Adorno zu sprechen kommt, der nach den Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes
im Exil in den USA eine kleine Schrift verfasst hat, Minima Moralia, Reflexionen aus dem beschädigten
Leben, die endet mit der Vision, ich möchte gerne in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Das ist ja inzwischen auch zu einem gewissen geschlügelten Wort geworden
und er begründet diese Vision damit, dass in der Analyse der Entwicklung zum Nationalsozialismus
deutlich wurde, dass es sich da nicht um einen Unfall der Geschichte handelte oder um eine Aktion
einiger durchgedrehter Politiker, sondern dass in der lange vorher vorbereiteten, rezipierten
bürgerlichen Kultur vieles von dem angelegt war, was dann staatlich im Nationalsozialismus
exekutiert wurde. Er kritisiert die bürgerliche Kultur, ich zitiere, die die Fähigkeit miteinander
zu sprechen erstickt, die Möglichkeit unreglementierten Glücks verschwinden lässt, Individualität
liquidiert und nur noch standardisierte Menscheneinheiten zulässt. Das ist sehr aktuell,
wenn man sich auf die Forderungen nach sexueller oder pädagogischer oder gesellschaftlicher Einfalls
bezieht, die von manchen gesellschaftlichen Gruppierungen auch heute wieder in die Öffentlichkeit
gebracht werden. 50 Jahre später hat ein wichtiger Soziologe, der postmoderne Zygmunt Baumann,
das Thema noch mal wieder aufgegriffen und hat gesagt, wir leben heute in einer Zeit, die man
als das Ende der Eindeutigkeit betrachten kann. Er sagt zu Recht, und das ist auch wichtig bei der
Komplexität des Themas wahrzunehmen, dass wir Menschen rein anthropologisch Ordnungsmuster
brauchen. Wir brauchen in der chaotischen Vielfalt der Umgebung unserer selbst und der
verschiedenen Menschen Ordnungsmuster, Identitäten. Wir müssen wissen, was gehört zu uns, was ist mir
wichtig, was gehört nicht zu mir, was will ich annehmen, was will ich wegweisen. Das kann sich
verändern, aber solche Ordnungsmuster, solche Stereotype, kann man auch sagen, sind notwendig,
um handlungsfähig zu sein. Was natürlich immer auch gleich mit dem Schatten verbunden ist,
dass diese Einrichtung von Ordnungsmustern einen Kampf gegen das Uneindeutige, gegen das Fremde,
mit sich bringen kann. Was ist fremd? Was feindlich ist, kann ich relativ gut definieren,
das bedroht mich, da kann ich gegen angehen. Was fremd ist, ist nicht so ganz einzuschätzen. Es
kann freundlich sein, es kann feindlich sein, es ist in jedem Fall in gewisser Weise uneindeutig.
Und dann ist in die entscheidende Frage natürlich auch, wer definiert denn, was ist fremd, was ist
eigen, welche Ordnungsmuster, Mann, Frau, inländisch, ausländisch, tun uns denn gut, sind wichtig für ein
Miteinander umgehen. Ist das Gott? Früher glaubte man tatsächlich. Das ist gesetzt von göttlicher
Autorität. Ist es die Natur? Viele gucken auch heute noch in die Natur und sagen, da ist doch
die Heterosexualität vorhanden, eindeutig. Die Biologen haben uns inzwischen gelehrt, dass das
Presenters
Prof. Dr. Uwe Sielert
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:32:14 Min
Aufnahmedatum
2016-02-26
Hochgeladen am
2016-03-04 09:27:35
Sprache
de-DE