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Ein akademisches Hörspiel über erfolgreiche Schreibblockaden. Nicht ganz (oder doch?) ernst gemeinter Podcast zur Langen Nacht des Schreibens 2021 mit

Christoph Ackermann (UB)

und

Stefan Rieger (ZIWIS)

Aufnahme Datum 2021-03-04

Inhibitio scribensis academiae

Sehr geehrter Herr Kollege Prof. Dr. Stift,

die geplante Veröffentlichung meiner Studie über Schreibblockaden beginnt mit einer ebensolchen. Ich sitze wie vernagelt vor einem leeren, weißen Blatt, das mich obszön anstarrt. Ich fühle mich bedrängt, belästigt, ertappt und bloßgestellt. Es fragt mich: „Was wolltest Du fragen?“, es sagt mir: „Sag es doch einfach!“

Einfach! Als ob das so einfach wäre, hätte, könnte… Ich kann die leere Seite förmlich kichern hören, hinüber rufen zu dem nun – nachgemessen – 67 cm hohen Stapel nicht mehr weißer Blätter, auf denen die Ergebnisse meiner Studie säuberlich lagern und auf Zusammentragung warten. Diese Seiten winden sich unter der Last ihres Inhaltes, würden die Zahlen und Tabellenreihen gerne wieder loswerden, um rein und jungfräulich sich wie vormals zu einem Stapel Leere zu vereinigen.

Trotzdem ich Ihnen dies schreibe, bleibt das Blatt weiß, außenherum, an den Rändern, aber auch innen, zwischen den Buchstaben und den Zeilen. Ach was könnte man dort alles hineinschreiben, zwischen diese Zeilen, passgenau und wie eine Stanze um die bestehenden Buchstaben herum. Ist es nicht immer wieder ein neues wunderbares natales Ereignis, wenn Buchstaben entstehen, sich zu Ketten formen und dann dieses Verschlingen von Linien einen vielschichtigen Sinn ergibt? Ist Schreiben also nicht drei- oder sogar noch viel mehrdimensional?

Ist es nicht. Es bleibt ein Phänomen der Ebene, platt und glatt, staubig, wenn dann die Tinte trocken ist, ohne Leben. Ist das Wort geschrieben, ist ihm das Leben entwichen. So auch mir nun. Wissen Sie Rat?

Hochachtungs- und aufopferungsvoll, ihr unbeschriebenes Blatt

Gez. Prof. Dr. A.-B. Seite

Lieber Kollege Seite,

leider reicht es bei mir augenblicklich nicht einmal zur Schreibblockade: ich finde einfach keine Zeit Ihre Nachricht in Ruhe und angemessen zu beantworten. Die Studierenden lassen mir ebenso wenig Ruhe, wie meine – Sie wissen es ja – andauernden Vortragsreisen (heute beim politischen Aschermittwoch der Grünen in Bamberg; ich kann auch nicht nein sagen). Von Donnerstag bis Sonntag bin ich zum Skifahren in Bad Ischl. Mit einer Antwort können Sie deshalb leider frühestens am Montag rechnen. Ich weiß, dass Ihre Studie bis zum 5.3.20 fertig sein muss – trotzdem: Bitte gedulden Sie sich bis dahin noch.

Liebe Grüße

Eddie Stift

Kollege Stift,

Sie prokrastinieren potenziert, quasi im Quadrat. Sie schieben Ihre Schreibblockade auf die lange Bank. Dort verwelkt sie wie geerntetes Gemüse das nicht gegessen wird.

Eine Schreibblockade muss man kultivieren, pflegen, verhätscheln. Füttern Sie sie mit Süßigkeiten und schwarzem Kaffee! Sie müssen wach sein, um die Blockade zu genießen. Kosten Sie sie richtig aus. Schieben Sie den Aufschub nicht auf. Geben Sie sich dem schlechten Gewissen hin. Zermartern Sie sich. Reichlich. Dann wird es gelingen.

Nichts anderes tue ich. Ich fange nicht an. Weil Sie mich nicht davon abhalten.

Bis demnächst, bald, gleich, gestern, neulich

ohne Grüße

Prof. Dr. A.-B. Seite

Hallo Kollege,

schöne Urlaubsgrüße aus dem Salzkammergut. Hier ist es heute so windig, dass die Seilbahn geschlossen hat. Ich sitze hier im „Hotel zur Post“ und schreibe Ihnen – bar jeder verantwortbaren Ausreden und stimuliert durch den Unterkunftsnamen – einen Brief. Zunächst danke ich Ihnen auf das herzlichste für Ihr freimütiges Bekenntnis. Ein Professor mit Schreibhemmungen erscheint mir wie ein rechenschwacher Mathematiker, ein Pilot mit Höhenangst, ein veganer Metzger, ein Bibliothekar mit Stauballergie, ein Topf ohne Deckel, ein Leberkäse ohne Leber oder ein Student ohne Handy. Nun gibt es tatsächlich mehr topflose Deckel und leberfreie Käsesorten als man denken mag. Mich zum Beispiel. Wie oft fehlt auch mir die Muse, die Motivation und ich forme auf meinem Schreibtisch statt mehrdimensionalen Sätzen mehrdimensionalen Gebilde mit Stiften, Linealen und Schokoriegeln. Kürzlich hat mein neues IPhone einen Sprung im Display bekommen, als es von einer Faber-Castell-Pyramide gefallen ist. Dann – Herrschaft, jetzt ist meine Tochter schreiend hereingeschneit,nur um mir völlig außer Sinnen mitzuteilen, dass Harry Styles auf Insta seine neuen Tour-Termine gepostet hat und im September auch nach München kommt – jetzt habe ich wieder völlig den Faden verloren – also, wo war ich? Das stimmt doch gar nicht, mal googeln, Harry Styles – Eventim – Tickets – achso, mein Handy hat einen Sprung – genau. Ich machte mich nach dem Pyramideneinsturz auf den Sprung und zwar hinaus aus dem Büro. Irgendwie muss man ja Inspiration finden. Und unsere FAU bietet so herrlich viel Grün, der Schlossgarten, die Wälder im Südgelände, - ich bin durch den botanischen Garten gelaufen und genau am Serpentin-Hauswurz (Sempervivum pittonii) kam mir die erste zündende Idee. Ich habe sofort mein Handy gezückt um eine Sprachmemo aufzunehmen und – mich tierisch über das kaputte Display zu ärgern. Immerhin, ein Anfang war gemacht. Andere Kolleginnen und Kollegen haben andere Methoden, um den Geist im Papier aufzuwecken und Anfänge zu finden. Die einen stehen um 5 Uhr auf, die anderen machen Yoga wieder andere haben die besten Einfälle in der Dusche. Vielleicht stehen Sie also um 5 Uhr auf und machen in der Dusche Yoga – wenn das nicht hilft, weiß ich auch nicht. Aber Eigentlich war Ihre Frage ja, wie aus dem gefunden Anfang dann etwas faszinierendes , vielschichtiges wird, eine wirklich tragfähige Pyramide. Vielleicht diskutieren wir das gemeinsam. Denn auch die Anwesenheit von Leidensgenossen und deren Ideen können inspirierend sein. Kommen Sie mit mir ins Kaktushaus! Oder wir treffen uns am Montag im Lesesaal der Universitätsbibliothek – denn dort finden wir nicht nur die nötigen Denkanstöße in gedruckter Form, sondern

sitzen in mitten von hundert anderen Textproduzenten, da kann man ja gar nicht anders als zu schreiben – mir ist es wurst, wenn ich dann erkannt werde. Im Gegenteil, ich genieße das Bad in der Menge sogar ein bisschen. Deshalb mein Tipp: Wenn Sie kommen, stylen Sie sich – schauen Sie doch mal, ob Sie noch was anderes als grau im Kleiderschrank haben – denn der Pfad zwischen den H80-Lehrbüchern und Arbeitsplätzen im Lesesaal 1 ist durchaus ein Laufsteg; wenn Sie sicher laufen und charmant lächeln qualifizieren Sie sich zwar noch nicht für GNTM, aber ein Sternchen mehr im einen oder anderen Prof-Bewertungsportal ist schon drin. Servus!

Eding-Stift- ups, das war die Autokorrektur.

Sehr geehrter Kollege,

es gelingt Ihnen nicht, mich auf Ihre vielen Aufträge, die Sie von Ihrer Arbeit abhalten, neidisch zu machen. Und auch schreiende Töchter entlocken mir nicht die Bohne Mitleid. Oder möchten Sie erreichen, dass ich in meiner Schreibe auf Ihre Jugendsprache umschwenke, und auf diese Art meine sau-die-geile Studie vorstelle? Neinneinnein.

Wissen Sie was? Ich bringe meine Studie über Schreibblockaden als ebensolche heraus. Als weißes Blatt Papier - ach was schreibe ich, als stapelweiße, äh stapelweise, weißes Blatt Papier. Und für ganz Hartgesottene bringe ich die schreibblockierte Suite über Schreibblockaden auch als Hörbuch heraus. Langfassung. Zwei Stunden Schweigen. Gesprochene Schreibblockade. Sprechblockade. Akustisch leerer Notizblock…

Oder als Malbuch. 100 Seiten weißes Blatt Papier. Zum Downloaden und Selbstausdrucken.

Natürlich könnte man, wie Sie schreiben, auch aus dem Sprechen ins Schreiben kommen. Also die technischen Möglichkeiten gebrauchen, nicht mehr die Tastatur oder den Stift zu nutzen. Das geht auch schneller. Dann geht aber auch die Blockade schneller vorbei. Schade. Ade. Ade Blockade. Und das ist die Crux der heutigen Zeit. Alles geht so schnell. Wir kommen so schnell in eine Blockade. Und wir kommen auch ganz schnell wieder aus ihr heraus. Wir blockieren unsere Blockade. Stellen Sie sich vor - ein Fußballspiel ohne Halbzeitpause, in der alles stillsteht und atemholt. Das Spielfeld ist blockiert, und keiner regt sich auf. Lassen Sie uns also auch so schreiben. Voller Blockaden. Lustvoll scheitern um grandios zu glänzen. Lassen sie uns Pausen lassen. Je länger je mehr je lieber. Gönnen wir uns. Bis immer.

Freundliche Grüße,

Gez. Seite, eine von vielen

PS: Schiller roch immer an einem verfaulten Apfel, um die Zeit der Blockade zu genießen…

Lieber Kollege Seite,

Ihr neuer entspannter und selbstironischer Blick auf Ihre – unsere – Schreibblockade gefällt mir! Das ist allenfalls besser als sich in den Schreibkrampf hineinzusteigern: zwei Stunden Schweigen zum Download – am besten als Open Educational Ressource. LoL!

Also bleiben Sie entspannt und tun Sie sich etwas Gutes. Oder wie meine Kleine sagt: „Gönn Dir, Papa“.

Und nach der Halbzeitpause kommt dann die fulminante zweite Halbzeit. Dann reihen sich die Wortgefüge aneinander wie die schönsten Pässe, kognitive Fallrückzieher lassen staunen, am Ende steht da eine formvollendete Schlussfolgerung wie ein Bilderbuchtor.

Noch kurz zum Thema Jugendsprache: Ich rate Ihnen auch bei Ihrem Schreibstil zu mehr Unverkrampftheit: Durch die kontinuierliche Konkatenation von Fachtermini und Fremdwörtern wird Ihre Studie auch nicht akademischer.

Herzlichst!

Eddie the Pen

Werter Stift,

ich greife zu Ihnen – der Worte sind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten sehen.

So auch Ihr, die Ihr nur glotzt und seht und nicht schreibt, auf geht es, verteilt Euch, in den Räumen auf den Blättern, werdet ewig

Mit Seite und Stift…

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Lehrende(r)

Stefan Rieger

Zugang

Frei

Sprache

Deutsch

Einrichtung

Universitätsbibliothek

Produzent

Universitätsbibliothek

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