11 - Passion und Poststrukturalismus. Das Heidelberger Passionsspiel aus diskursanalytischer Perspektive/ClipID:48725 vorhergehender Clip nächster Clip

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Worum geht es in dieser Folge?

Was ist ein Diskurs? Und wie kann man sich aus diskursanalytischer Perspektive dem Heidelberger Passionsspiel nähern? Darüber denken wir hier nach!

Korrekturen:

  • Die Hiob-Szene ist nicht die einzige alttestamentliche Szene im Heidelberger Passionsspiel. Insgesamt gibt es 13 (vermutlich waren es ursprünglich 16) solcher Präfigurationen! Die Vorstellung, dass alttestamentliche Figuren neutestamentliches Geschehen vorweggenommen (präfiguriert!) haben, heißt Typologie und ist ein wichtiges Konzept im theologischen Diskurs.
  • Die lateinische Passage der Teufelsrede ist ein Bibelzitat (Sed extende paululum manum tuam). Sowohl in der Bibel als auch im Passionsspiel ist der Teufel Provokateur Gottes und schließt mit ihm eine Wette um Hiobs Frömmigkeit ab, aber im Passionsspiel werden die Leiden Hiobs noch stärker an den Teufel rückgebunden. Der Teufel bleibt zwar auch hier Gott untergeordnet, gleichzeitig trägt er eine deutlichere Schuld an den Leiden des Unschuldigen.

Weiterführende Informationen

Quelle: Das Heidelberger Passionsspiel

Zum Weiterlesen:

Anz, Thomas (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft, Gegenstände – Konzepte – Institutionen. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart 2007.

Harst, Joachim: Diskursanalyse. In: Christiane Ackermann u. Michael Egerding (Hgg.): Literatur- und Kulturtheorien der germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. Berlin 2015, S. 7–34.

Spreckelmeier, Susanne: Bibelepisches Erzählen vom Transitus Mariae im Mittelalter, Diskurshistorische Studien. Berlin 2019 (Literatur – Theorie – Geschichte 14).

Ukena-Best, Elke: Typus und Antitypus. Methoden der Verknüpfung im Heidelberger (Mainzer) Passionsspiel. In: Amsterdamer Beitrage zur älteren Germanistik 75 (2015), S. 86–113.


Elias Drechsel, Philipp Dörr u. Ferdinand Geipel

Aufnahme Datum 2023-06-29

Bühne aufs Ohr. Eine Reise durch die geistlichen Spiele des Mittelalters

Das Heidelberger Passionsspiel, dessen erste handschriftliche Überlieferung bereits auf das Jahr 1514 zurückgeht, gibt einzigartige Einblicke in die zeitgenössische Rezeption der biblischen Heilsgeschichte. Neben Vorstellungen zur Passion Jesu reflektiert dieser Text eine Vielzahl an Themen und damit verbundene Aussagen, die in der Gesellschaft der Entstehungszeit aktuell waren. Um diesen Diskursen, wie der Fachterminus lautet, mit dem wir hier auch arbeiten werden, auf die Spur zu kommen, beschäftigen wir uns also in dieser Folge des Podcasts „Geistliche Spiele“ mit der Methodik der Diskursanalyse nach Michel Foucault, wobei wir als konkretes Textbeispiel die Passage zur alttestamentlichen Geschichte Hiobs heranziehen werden, welche im Heidelberger Passionsspiel in die Passion Jesu eingeschoben ist.

Wenden wir uns zunächst dem theoretischen Teil zu. Michel Foucault, der Erfinder der Diskursanalyse, war ein französischer Philosoph des 20. Jahrhunderts und Anhänger des sogenannten Poststrukturalismus. Dieser beschäftigt sich, im Gegensatz zu klassisch- hermeneutischen Interpretationsansätzen, nicht mit der Suche nach einem vom Autor in seinen Text eingeschriebenen Sinn. Stattdessen untersucht der Poststrukturalismus vielmehr die für die Entstehung des jeweiligen Textes relevanten Kontexte bzw. sozial-kulturelle Rahmenbedingungen. Foucault geht dabei sogar so weit zu sagen, dass ein Text gar nicht unbedingt Produkt einer einzelnen, bestimmten Autorenpersönlichkeit ist, sondern völlig eigenständig existieren kann. Er bezeichnet Texte daher auch als Monumente.

Um nun die relevanten Entstehungskontexte eines Textes zu beschreiben, hat Foucault den Begriff des Diskurses eingeführt. Zwar ist seine Definition des Begriffs Diskurs nicht immer ganz eindeutig und sie wandelt sich auch zwischen seinen früheren und späteren Werken, lässt sich aber vereinfacht so zusammenfassen: Ein Diskurs umfasst die Gesamtheit des kulturellen Wissens einer Gesellschaft zu einem gewissen Bereich, z. B. theologischer Diskurs oder höfischer Diskurs. Jeder Diskurs funktioniert hierbei nach eigenen Regeln, welche allerdings historisch variabel, also veränderbar sind. Diese Regeln wiederum legen fest, was innerhalb eines Diskursfeldes sagbar ist und welche Aussagen gegen die Regeln verstoßen, also nicht sagbar sind. Außerdem prägen Diskurse die Gesellschaft, deren Teil sie sind, indem sie Wahrnehmung, Denken und Handeln ihrer Individuen bewusst, zumeist aber auch unterbewusst, beeinflussen. Daher manifestieren sich Diskurse immer auch im Medium Text als soziales Produkt. Die Diskursanalyse geht folglich davon aus, dass Texte als Knotenpunkte zwischen verschiedenen Diskursen fungieren. Dabei spielt es zunächst auch keine Rolle, ob ein Text literarischer oder nicht literarischer Natur ist. Ziel ist es, Spuren der in einem Text enthaltenen Diskurse aufzudecken und die Position, die der Text zu den Diskursen einnimmt, darzustellen. Auch die Funktion, die ein Diskurs in einem Text erfüllt, und die Relationen mehrerer Diskurse zueinander können Teil der Analyse sein. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wiederum geben Hinweise darüber, welche Diskurse im sozialen Umfeld, aus dem der Text stammt, zur Entstehungszeit aktuell waren.

Um die Diskursanalyse nicht nur mit theoretischer Erklärung, sondern auch über praktische Anwendung besser kennenzulernen, müssen wir, wie bereits eingangs erwähnt, ein konkretes Textbeispiel heranziehen, welches in unserem Fall die Hiobs-Passage aus dem Heidelberger Passionsspiel darstellt. Bevor wir jedoch Foucault und Hiob zusammenbringen, sei die Passage zunächst einmal zusammengefasst.

Der Einschub der alttestamentlichen Geschichte des gläubigen Hiobs in die neutestamentliche Erzählung des Passionsspieles stellt uns einen Mann vor, der an Tugendhaftigkeit und Gottestreue nicht zu übertreffen ist. Unglücklicherweise ist es jedoch eben dieser Umstand, der ihn zum Zielobjekt für eine Reihe an Schicksalsschlägen macht, die ihn durch die tiefsten Abgründe menschlichen Leidens führen sollen. In einer Szene, die der Tagung eines Gerichtes gleichkommt, überredet nämlich Sathanas, ein Untergebener Luzifers, Gott dazu, Hiobs Glauben auf die Probe stellen zu dürfen unter dem Vorwand der These, dass dieser seinem Glauben abtrünnig werden würde, wenn er keine Entlohnung mehr für seine tugendhaften Taten erhielte. Infolgedessen erleidet der unwissende Hiob brachiale Verluste durch die Tode seines Viehs sowie denen seiner Kinder und wird geplagt von Krankheiten, die aus dem Mann, der einst reich an Gütern und Gesundheit war, einen bemitleidenswerten Habenichts machen, der beginnt, an seinem Glauben zu zweifeln. Dabei befeuern seine Frau sowie die drei Freunde Eliphas, Baldad und Sophar, deren Dialoge mit Hiob den Hauptteil der Passage ausmachen, seine Zweifel mit Nachdruck, indem erstere ihren Gatten aufgrund des Festhaltens an seiner Gottestreue verspottet und letztere ihm über das Gleichnis, dass nur Sündern zur Strafe ihrer Vergehen derartiges Leid widerfahren kann, unterstellen, dass er Böses getan haben muss. Lediglich ein vierter Freund, Elihu, scheint Hiobs Elend einen logischeren Grund abringen zu können, indem er vermutet, dass sein Leiden nicht den Zweck der Strafe für Vergangenes, sondern den des Schutzes vor zukünftiger Sünde erfüllt. Hiob befindet sich gegen Ende der Erzählung in einem derartigen Glaubensdilemma, dass er keinen anderen Ausweg sieht, als Gott selbst nach Aufklärung zu fragen. Infolgedessen geschieht es tatsächlich, dass Gott seiner Bitte nachkommt, indem er ihn auf eine Reise mitnimmt, die dem Leidgeprobten aufzeigt, wie klein doch sein Horizont ist und dass er bei all den Aufgaben seines Herren keine Berechtigung hat, sein Schicksal zu hinterfragen, da er die größeren Gründe nicht kennen kann. Schlussendlich lobt ihn Gott jedoch trotz seiner Krise für das Festhalten an seinem Glauben und das Suchen des offenen Gespräches mit ihm und tadelt all die, die ihn davon abbringen wollten oder meinten, sie hätten die Hintergründe des göttlichen Wirkens verstanden.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich Hiobs Passage abseits diverser Fragen, die die Erzählung aufwirft, vor allem dadurch hervorhebt, dass sie den einzigen vollwertigen alttestamentlichen Text in dem neutestamentlichen Passionsspiel darstellt. Einen Grund dafür scheint ein im Anschluss hieran zu diskutierender Diskurs zu bilden, die sogenannte Präfiguration, auch Typologie genannt. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, bei welchem sich Ankündigungen aus dem Alten im Neuen Testament vollenden, was hier augenscheinlich die Figuren von Hiob und Jesus in einen Bezug zueinander setzt.

Also das war jetzt hier schon ziemlich viel Theorie. Und lasst uns deswegen jetzt ein bisschen in die Diskussion einsteigen, ein bisschen das Ganze auflockern. Ich würde ganz gerne eingehen allgemein auf diskursanalytische Zugriffe auf das Passionsspiel. Vielleicht Chancen und Gefahren oder Möglichkeiten könnte man das Ganze dann nennen und dann auch ein bisschen detaillierter darauf eingehen, die Rolle des Teufels in Hiobs Geschichte bzw. im Passionsspiel. Theodizee-Frage natürlich, ganz wichtiges Thema, immer wenn es um Hiob geht, bzw. dann kommt noch ein weiteres Thema, was wir dann diskutieren möchten: Die Typologie zwischen Jesus und Hiob. Da kommen wir dann gleich nochmal darauf: Der Tugend und Sünde als Dualismus praktisch. Wie wird man belohnt? Was sind gute Taten?

Wie funktioniert das im Passionsspiel bzw. bei Hiob? Und genau, das wäre so das Wichtigste. Und wenn wir uns jetzt nämlich beschäftigen, das fand ich nämlich besonders interessant, als ich den Text gelesen habe zum Passionsspiel, müssen wir uns ja überlegen, wo kommt das ursprünglich her? Grundsätzlich die Passion Jesu und auch die Hiobsgeschichte, die wir uns jetzt da speziell angeguckt haben, die stammt ja aus der Bibel bzw. aus der damals aktuellen Version der Bibel auf Latein, die sogenannte Vulgata. Und das ist ja erstmal eine heilige Schrift.

Ja, es ist auf jeden Fall nicht irgendein Text, das heißt man muss damit auf jeden Fall eigentlich vorsichtig umgehen, vor allem in mittelalterlichen Zeiten. Und da ist es ja auch die Frage, ob es unproblematisch ist, jetzt einen Bibeltext zu übersetzen sozusagen oder zu transferieren, zu verändern, um ihn in einem Theaterstück zu präsentieren, ob sich das vereinbaren lässt mit theologischen Regeln und generell, ob man dann im Zuge dieses Passionsspielschreibens, Vortragens, ob man dann erst einen Diskurs hineinschreibt in den Text oder ob da auch im Bibeltext schon was vorhanden ist. Ja, dem Ganzen widmen wir uns jetzt.

Ja genau, das ist ein gutes Stichwort. Ist der Diskurs schon im Bibeltext vorhanden? Also die Frage sozusagen: Wo kommt die Bibel her vielleicht dann auch ein Stück weit? Wenn wir uns jetzt streng theologisch der Bibel nähern, dann wissen wir ja, das ist letztendlich das Wort Gottes, was Gott den Menschen diktiert hat und er hat es aufgeschrieben. Und das wirft für mich jetzt die Frage auf, da Gott ja allmächtig ist und nicht Teil unserer Gesellschaft, können wir dann überhaupt sagen, dass in der Bibel schon Diskurse enthalten sind? Weil eigentlich müsste Gott ja über dem gesellschaftlichen System stehen, das die Diskurse bestimmt.

Also es gibt so zwei Faktoren, die mir da kommen würden. Zum einen muss es ja jemand aufgeschrieben haben. Also Gott hat nicht die Feder geführt, wenn wir jetzt theologisch davon sprechen, dass das Gottes Wort ist. Und zum anderen muss es ja irgendeine Intention gegeben haben. Also auch Gott ist vielleicht nicht Teil der Gesellschaft, aber er kennt ja alles, er weiß alles. Und muss ja dann auch irgendeine Intention, was er irgendwo auch in den Diskurs anknüpft, in diesen Text hineingeschrieben haben. Also Geschichten zeichnen sich ja auch dadurch aus, dass sie irgendeinen Diskurs oder eine Moral implizieren. Also es muss irgendeine Funktion haben und demzufolge sehe ich eigentlich, dass da schon im Originaltext ein Diskurs hineingeschrieben sein müsste. Oder auf einen Diskurs Bezug genommen wird, aktiv. Oder einer kreiert wird sogar, das könnte auch sein.

Also ich denke, ganz einfach wäre es, wenn wir uns überlegen, dass der Bibeltext in irgendeiner Weise erst mal eine mündliche Überlieferung war, die irgendwann später verschriftlicht wurde. Also ganz viele Geschichten spielen ja schon weit bevor, dass die Menschheit ein Schriftsystem entwickelt hatte. Also ein standardisiertes, wo in Büchern geschrieben wurde. Wenn geschrieben wurde, vielleicht irgendwelche Listen oder sowas, aber nicht Texte.

Also die Heilige Schrift ist ja auch wieder Mund-zu-Mund-Propaganda. Teilweise ist es wieder so ein Parakern. Propaganda ist vielleicht, ja, das ist vielleicht das falsche Wort. Im Endeffekt weiß man ja auch nicht, wie nah das an der ganz ursprünglichen Quelle eigentlich dran ist.

Das stimmt, ja. Also ich denke, spätestens an dem Punkt, an dem aus einer mündlichen, kulturellen, überlieferten Geschichte ein Text wird, spätestens da spielen dann die Diskurse, die zu der Zeit, als es aufgeschrieben wurde, spielen dann in die Verschriftlichung mit rein. Dann könnte man praktisch sagen, dass wir viele Diskurse, die wir auch im Passionsspiel wiederfinden, auch schon so oder so ähnlich bereits in dem Vorlagentext der Bibel wiederfinden können.

Genau. Ja, und lässt sich da auch schon, lässt sich darüber urteilen, ob das dem religiösen, dem Ursprungstext zuträglich ist, wenn das jetzt in dieses Passionsspiel übersetzt wurde oder transkribiert wurde oder welches Wort man auch mal wählen mag oder ist das fast schon blasphemisch eigentlich, sich an Gottes Wort zu schaffen zu machen, um das auf die Bühne zu bringen und zu verändern?

Ja, das ist eine gute Frage. Ich denke, das kommt immer darauf an. Also wenn wir uns jetzt streng diskursanalytisch dem Ganzen nähern, würde ich sagen, spielt das in dem Moment erst mal gar nicht so die Rolle. Es würde dann aus theologischer Sicht interessant, weil natürlich die Gefahr einer Veränderung besteht. Das ist ja genau das, was dann auch die Reformation unter Luther zum Beispiel diesen geistlichen Spielen vorgeworfen hat, dass man versucht hat, sie neu zu instrumentalisieren, sondern ein Belehrungsinstrument zu machen, weil man gesagt hat, dass das freie Spiel, was bis zur Reformation zum Teil praktiziert wurde, nicht theologisch streng genug wäre, sage ich jetzt mal. Und von daher ist natürlich auch immer eine Gefahr. Also wenn wir jetzt diskursanalytisch mit den Begriffen arbeiten wollen, dann müssen wir schauen, wenn ich jetzt so ein Passionsspiel schreibe als Geistlicher, dass ich nicht gegen die Regeln des Diskurses verstoße. Also, dass ich gewisse Dinge, die, das haben wir ja schon erklärt, die sagbar sind oder auch nicht sagbar sind, beachte. Dass ich nicht die Rollen von Satan und Gott zum Beispiel vertausche jetzt oder sowas in diese Richtung.

Ja, genau. Und ja, das bietet sich eigentlich auch meiner Meinung nach gut zur Überleitung an, um über die Rolle des Teufels zu reden, was ja schon mal einen Diskurs aufwirft. Wie gestaltet sich eigentlich die Rolle des Teufels? Eigentlich hat man ja mal ein sehr klares Bild im Kopf. So: Er ist die Verkörperung des Bösen, der Antagonist, der gefallene Engel, der nur Böses im Schilde führt und, ja, so der Gegenspieler von Gott. Das ist aber so: Im Hiobtext steht ja der Teufel in Konversation mit Gott und muss auch sich die Erlaubnis einholen, Hiob durch diese Leidenswege zu bringen, sozusagen, um ihm das Leid anzutun.

Ja, das ist grundsätzlich tatsächlich so, wenn wir uns das angucken, das Passionsspiels, dass wir im Vergleich zum originalen Bibeltext hier eine größere Rollenbeteiligung des Teufels haben. Also er spielt hier eine wichtigere Rolle und wir sehen das vor allem an einzelnen Stellen auch, wenn ich jetzt da mal zitieren darf. Da gibt es eine Stelle, auf Latein heißt das:
Sed extende paululum manum tuam. Also: „Aber strecke doch deine Hand ein klein wenig aus“, sagt da Satan zu Gott. Und da sehen wir jetzt also ganz klar, eigentlich geht es hier für den Teufel dann auch darum, gar nicht selber derjenige zu sein, der der Böse ist, sondern er möchte eigentlich Gott dazu bewegen, Hiob Leid zuzufügen. Also es geht ja hier - letztendlich, wenn wir uns die Gesamtsituation nochmal vor Augen führen, will ja der Teufel beweisen oder hier der Teufel Lucifer bzw. Satan als einer seiner Vertreter, dass eben, ja, auch wenn selbst dem frommsten Menschen, wie Hiob zum Beispiel einer ist, wenn dem Leid widerfährt und er keine Rechtfertigung dahinter sehen kann, dass er sich dann von Gott abwenden wird. Und in dem Passionsspiel heißt eben, an dieser zitierten Stelle können wir jetzt ganz klarsehen, es ist nicht - erstmal versucht nicht der Teufel selber Leid zuzufügen, sondern er möchte erstmal Gott herausfordern: Füg du ihm doch ein bisschen Leid zu. Und da haben wir immer wieder diese Metaphern mit diesen Händespielen, also wer streckt seine Hand aus, wer, da gibt es auch noch eine andere schöne mittelhochdeutsche Passage hier, da sagt Satan zu Gott, stregke aber die handt geringe vnnd rure in vnnd alle die dinge, die er besicztt uff diesser erdenn. Also: Rühre in seinen Angelegenheiten, füg ihm ein wenig Leid zu. Also, da sehen wir das ganz klar, hier geht es erstmal darum, Gott zum aktiv Handelnden zu machen.

Ganz genau, das finde ich eben auch interessant, das wirft ein ganz anderes Licht irgendwie, wie man das sonst so kennt, auf das Machtgefüge zwischen Teufel und Gott. Also hier ist es noch so, dass der Teufel eher eine Art Bittsteller ist, könnte man jetzt ganz zynisch sagen, der seinen Gedanken vorbringt und Gott zum Handeln verleiten möchte. Dann gibt es ja auch noch - kann man ja auch noch überlegen eigentlich - es lässt sich ja nicht ganz rauslesen, was die eigentliche Intention des Teufels ist. Also, man kann schon vermuten oder stark davon ausgehen, dass er Unruhe stiften möchte oder Chaos stiften möchte, aber auf der anderen Seite, weil - im Vordergrund sagt er natürlich - das ist eine Probe des Glaubens, aber im Endeffekt kann diese Probe ja auch genauso gut dazu führen, dass Gott als Ungerechter wahrgenommen wird. Also die Intention des Teufels - also er tritt trotzdem irgendwie als ein Ränkespieler auf, nur dass er nicht dieser riesige Antagonist ist von Gott und schon mit ihm im Gespräch steht und ihn überreden möchte.

Also ich finde es sehr interessant zu sehen - wenn wir uns erinnern - das Passionsspiel, da ist ja eine der ersten Szenen in der Hiob-Passage, die da auftaucht, ist, dass Lucifer, also der Chef sozusagen der Hölle, rauskommt auf die Bühne aus seiner Hölle mit seinen Teufelsgefolgsleuten, unter anderem eben auch Satan, und sagt: Los geht in die Welt und verbreitet Unheil, stiftet Chaos und Leid und so. Also das ist dann schon ein ganz klassisches Bild des Teufels. Und als dann aber Satan dem Hiob Leid zufügen möchte, braucht er plötzlich Gottes Erlaubnis. Das ist natürlich - hat dann vielleicht auch schon einen humoristischen Anklang, dass dann plötzlich der Teufel dann doch nicht mächtig ist. Also der große Böse - die verlorenen Seelen, die Sünder, kommen in die Hölle, aber irgendwie...

Genau, also im Fokus steht - es wird ganz klar in Fokus gerückt - dass alle Macht trotzdem bei Gott liegt. Und auch Leid anzurichten, liegt bei Gott, sozusagen. Und auch das leitet eigentlich ganz gut zur Theodizee-Frage über, die halt wie ein Elefant eben auch bei der Hiob-Geschichte im Raum steht, nämlich die Frage nach dem Sinn des Leids auch irgendwo. Ob da in dem Zusammenhang Gott gerecht ist, wenn er Leid zulässt, ob...

Vielmehr ob er allmächtig ist. Also - warum ist ein allmächtiger Gott - warum schaut er zu, wie wir Menschen auf Erden uns hier abplagen und leiden und krank sind und sterben müssen, wenn er doch die Macht hätte, das aufzuhalten?

Genau.

Also wir müssen vorsichtig sein bei Theodizee, das ist ein Begriff, der erst in der moderneren Theologie auftaucht, den gab es damals noch nicht in der Form. Grundsätzlich natürlich die Frage: Warum lässt jetzt Gott Leid zu? Die gab es natürlich schon sehr viel länger.

Ja, und gerade auch in diesem Hiobs-Spiel wird ja auch diese Gleichung aufgestellt, mit der Hiob auch stark auf die Probe gestellt wird in seinem Glauben, nämlich, da Hiob sich ja eigentlich nichts zu Schulden kommen lassen hat in seinem Leben und trotzdem mit so viel Leid bestraft wird, ist ja die Frage - also normalerweise vermutet man dieses Gleichnis: Tust du Gutes, wirst du belohnt, tust du Schlechtes, wirst du bestraft. Das findet hier eben nicht statt durch die Handlung hinweg. Und da kommt eben auch die Frage auf, was der eigentliche Sinn des Leidens dann auch überhaupt ist. Also Gott zeigt ja auch Hiob sein ganzes Aufgabenfeld sozusagen und dass es eigentlich auch den Horizont übersteigt von Hiob, was der Sinn des Leidens ist oder wie die ganze Mechanik der Welt funktioniert und dass er das eigentlich gar nicht umreißen kann. Ja.

Ja, also wenn wir uns diesen ganzen Diskurs angucken um diesen theologischen Spezialdiskurs, würde ich jetzt mal sagen, um das Leiden der Menschen und die Rolle, die Gott dabei einnimmt, dann, ja – genau, wie du sagst - dann müssen wir uns dann auch fragen: Können wir überhaupt diese Frage beantworten? Also wenn wir jetzt schließen: Ja, aber Gott ist doch allmächtig. Und das ist vielleicht auch was, was uns in diesem Passionsspiel immer wieder gezeigt wird, auch vielleicht in Verbindung mit diesen Teufelsszenen: Er lässt das Leid zu, aber er weiß, dass das im Großen und Ganzen wir Menschen das gar nicht alles überblicken können. Also man muss sich dann immer die Frage stellen, vielleicht steckt hinter all dem ein tieferer Sinn und das zeigt er hier ja Hiob auch. Also er führt ihn ja dann vor, wie gesagt...

Er führt ihm ja auch nur so viel Leid zu, weil er ihm zutraut, dass er das aushalten kann und trotzdem an seinem Glauben festhält. Also gibt Gott eigentlich eine Prüfung aus, die auch irgendwo ein Vertrauensbeweis in die Stärke des Gläubigen ist.

Ganz genau.

Das ist ja auch - in anderen Religionen wird das eben auch so thematisiert. Also das ist mir nur auch so einmal geläufig gewesen, dass Gott einen nur mit Aufgaben bedacht hat, wo er auch meint, dass man die schaffen kann. So - an diesem Leid wächst man eben dann auch, weil ohne dieses Leid kann man Freude nicht schätzen. Und - also - wenn man jetzt die ganze Zeit Gutes tut und die ganze Zeit belohnt wird, dann ist alles gleichbleibend eigentlich. Man hat überhaupt keine Wertschätzung für die Belohnung oder es fehlt dieses Auf und Ab. Und das geht ja aber schon stark in die Philosophie jetzt.

Ja, es ist zutiefst philosophisch eigentlich. Vor allem, wenn wir uns überlegen, wie funktioniert dieser Diskurs? Und da sind die Regeln eben ganz klar, dass Belohnung und Strafe nicht unbedingt in einem proportionalen Verhältnis zueinanderstehen müssen. Dass also Leid - und das zeigt uns auch die Hiob-Geschichte und das zeigt sie uns auch im Passionsspiel - natürlich dem Zuschauer. Also das ist ja praktisch wie schon ein Wink mit dem Zaunpfahl, ist das - ja schon mehr ein Wink mit einer riesigen Stange. Also wenn man in der Metapher bleiben möchte, das erschlägt einen hier schier, dass es hier eben nicht nur darum geht: Ja, Hiob hat jetzt irgendwie vielleicht gesündigt, und das fragt er ja auch im Dialog. Also seine Frau sagt ihm ja immer wieder auch im Passionsspiel: Lass ab von diesem Gott, der dich nur leiden lässt. Und er fragt seine Freunde, was halten sie davon? Und da geht es ganz oft eben darum, dass er vielleicht irgendwie - dass entweder Gott nicht gut ist, Gott ist nicht gerecht oder ganz oft auch: Hiob hat vielleicht eine Sünde begangen. Er muss jetzt Buße tun und das ist eine Strafe für diese Sünde. Und so funktioniert das aber - dieser Diskurs - allerdings nicht.

Und gerade wegen diesen ganzen Dingen, aber auch, dass - also Hiob ist eben auch ein normaler Bauer, Bürger, Mensch, wie auch immer. Mir fehlt gerade der Terminus, der passende für die Geschichte. Genau und dadurch, um dann nochmal Rückbezug auf das Passionsspiel zu nehmen, dadurch bietet sich eben auch diese Figur gut an, um sich gegebenenfalls zu identifizieren als Zuschauer im Mittelalter, als jemand, der das Leid hinterfragt und auch Zuspruch braucht, um am Glauben festzuhalten, wo auch die Typologie ins Spiel kommt, weil Hiob ja für die eine Leidensgeschichte durchlebt. Und da lässt sich eine ganz starke Parallele eben auch zu Jesus bringen. Ja genau, weil eben diese Hiob-Geschichte ist beim Passionsspiel ja auch in generellen Jesusgeschichten eingepflegt.

Ja, ganz kurz vielleicht nochmal zu dem davor, zu dem Theodizee. Wenn wir jetzt von Zuschauern gesprochen haben, ist nicht vielleicht auch die Frage, inwieweit vielleicht das auch, wie soll ich sagen, nicht vielleicht auch ein didaktischer Sinn dahintersteckt. Also, ob man den Leuten damit nicht auch in irgendeiner Art und Weise das erklären möchte. Weil, wir wissen ja, damals, wenn jemand in den Gottesdienst gegangen ist, dann war das auf Latein das meiste und das haben die Leute nicht verstanden und hier wird es ihnen jetzt in ihrer Alltagssprache sozusagen vorgeführt. Und da ist dann vielleicht auch irgendwo so eine Idee dabei, zu sagen: Ja hier geht es auch darum, den Menschen das zu zeigen, warum sie leiden müssen und, ihnen Hoffnung zu machen, vielleicht auch. Aber das wäre jetzt sehr spekulativ. Das stimmt, weil wir uns hier nicht genau zurückversetzen können in die Zeit und auch nicht in die eventuellen Zuschauer. Deswegen, ja, ganz klar, ein ganz großer anderer Punkt, der auch mit reinspielt, ist eben dieser Typologie-Diskurs. Also die Parallele, wie du schon sagst, zwischen Jesus, der jetzt hier auch in einem Passionsspiel in dieser Szene gepeinigt wird, der auch leiden muss, der jetzt hier auch durchhalten muss. Und wo auch die, die ihn auspeitschen - ich meine, es waren Juden waren es - die ihn ausgepeitscht haben und ihn gehetzt haben und gesagt: Wo ist denn dein Gott, wo ist denn dein Gott? Wenn wir - sie ihn ja demütigen, aber es passiert nichts. Und da sehen wir ganz klar, wie du sagst, diese Parallele. Das ist dann so diese Hiobs-Geschichte als Präfiguration, als Vorausdeutung. Und da würde das auch sehr gut dazu passen, dass wir eben genau an der Stelle, als es eben losgeht mit dieser Peinigung Jesu, bricht ja das Passionsspiel - ist ja wie eine Zäsur - plötzlich kommt dann diese Hiobs-Geschichte. Und wir sehen ja auch, wenn ich mir jetzt überlege, wie dieses Passionsspiel abschließt mit der Hiobs-Geschichte. Da fehlt dann zum Beispiel der Schluss, dass am Ende in der Hiobs-Geschichte - fehlt die Tatsache, dass er da ja wieder, nachdem er die Probe bestanden hat - ich fand das übrigens sehr schön, wie du das gesagt hast - also dieses Auf-die-probe-stellen, das Herausfordern sozusagen und ein Vertrauensbeweis auch - das trifft das nämlich sehr gut. Und am Ende besteht er ja und er erhält alles, seinen vorherigen Besitz wieder und ich meine sogar noch mehr. Aber im Passionsspiel bricht das dann ab. Also da erfahren wir nicht, was mit Hiob am Ende passiert. Also entweder man weiß es oder man weiß es nicht. Und das spricht dann vielleicht auch dafür, dass wir hier eben dieses - dieses Theodizee auch nur - ja, dass das da mit schwingt, dass es aber vielleicht auch gar nicht so zentral ist, sondern dass der viel wichtigere und viel mehr herauszulesende Diskurs in dieser Hiob-Passage vielleicht tatsächlich dieser typologische Diskurs ist, weil wir dann vor dem Ende der Hiob-Geschichte wieder zurück zu Jesus springen.

Ja, ich muss sagen, ich finde das auch sehr interessant, dass es ja wirklich sehr offensichtlich scheint, dass die Typologie zwischen Jesus und Hiob hier der offensichtliche Diskurs zu sein scheint. Ich muss aber sagen, eben auch, um da schon mal ein kleines Fazit ziehen zu können durch die Diskussion, durch die Auseinandersetzung mit dem Text, dass vor allem aber diese, diese Leidensfrage, diese, dieser Sinn des Leidens das Eigentliche ist, was mich jetzt persönlich zum Denken angeregt hat oder mich zum Denken anregt bei dieser Hiob- Geschichte eben auch. Ich meine, wir leben jetzt momentan in einer Welt, die sich eigentlich schon stark von diesem Gottesgedanken abwendet, aber man sucht immer noch eigentlich nach der Antwort darauf, warum man leidet oder warum es so viel Leid gibt, etc. Und ja, und ich finde, dass einfach dieses Passionsspiel wirklich einen guten Job dahingehend macht, zu diesen Gedanken einzuladen.

Ja, wobei es natürlich jetzt nicht nur darum geht, dass man hier ja das, das rauszieht, ja, hier geht es um Theodizee und fertig, sondern dazu ist ja genau diese Diskursanalyse, was wir jetzt hier auch diskutiert haben, dass man darüber noch viel mehr Zugriffe kriegt auf den Text. Wir haben jetzt zum Beispiel gesehen: Die Rolle des Teufels und so weiter, all das kann man mit diesen Diskursen, die da drin sind, wenn man die sich anguckt, raus extrahieren und ich finde das vor allem sehr interessant. Ich meine, klar, du fokussierst dich jetzt aufs Offensichtliche, was man sofort sieht, die Theodizee, weil es halt einen so erschlägt, aber wenn man sich eben mit einer - mit einer Brille der Diskursanalyse praktisch an den Text nochmal ransetzt, dass man dann eben so viel mehr da noch rausholen kann. Also das finde ich fast – das finde ich sehr faszinierend. Vor allem also dieses Teufels-Teil, das fand ich jetzt sehr, sehr spannend, weil das vielleicht auch für einen persönlich - das klingt jetzt vielleicht ein bisschen doof - aber man kann sich ja dann doch Gedanken machen, inwieweit es vielleicht auch eine gewisse Selbstverständlichkeit, die man in Dingen glaubt, zu erkennen oder zu sehen - inwieweit man die vielleicht auch in Frage stellen kann, hinterfragen kann.

Um das Ganze zum Abschluss zu bringen: Wie findest du denn bietet sich Diskursanalyse als ein Mittel, um einen Text besser verstehen zu können, wie bietet sich das an? Hältst du das für sinnvoll, oder?

Ja, wir haben es jetzt ja in Teilen gemacht. Ich finde es vor allem dann interessant, wenn wir uns Texte angucken, die sich halt mit sozialen Thematiken auseinandersetzen. Grundsätzlich finde ich es ein wenig schwierig, nicht nur, weil die Theorie sehr komplex ist, vor allem für einen, der nur Interesse an einem Text hat und jetzt nicht unbedingt Fachwissenschaftler ist. Für den ist es vielleicht etwas, ja, nicht zu hoch, aber er fordert sehr viel Geduld und man muss sich vor allem auch in sehr viel reinlesen, um eben verstehen zu können, was die Zusammenhänge im Entstehungsrahmen des Textes waren.

Das ist eben eine sehr komplexe Herangehensweise, eine sehr theoretische Herangehensweise eben auch, um sich ganz viele Aspekte vom Text noch auf eine andere Art und Weise zu erschließen, aber für viele wird sich das als zu kompliziert darstellen. Genau, aber ansonsten kann ich mich da nur deiner Meinung anschließen. Und, ja, demzufolge entlassen wir euch auch aus dieser Podcast-Folge. Ich hoffe, es hat euch gefallen, es war ganz interessant. Ihr habt euch mit neuen Themen beschäftigen können und, ja, wir wünschen euch viel Freude bei der nächsten Folge und verabschieden uns damit.

Ja, tschüss.

Bühne aufs Ohr. Eine Reise durch die geistlichen Spiele des Mittelalters

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Lehrende(r)

Dr. Sandra Hofert

Zugang

Frei

Sprache

Deutsch

Einrichtung

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Produzent

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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