9 - Weihnachtsgeschichte meets Comedy. Das Hessische Weihnachtsspiel/ClipID:48723 vorhergehender Clip nächster Clip

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Worum geht es in dieser Folge?

In dieser Folge setzen wir uns mit dem Hessischen Weihnachtsspiel auseinander, das der bekannten Weihnachtsgeschichte mit viel ‚mittelalterlichem‘ Humor begegnet. 


Weiterführende Informationen

Quelle: Das Hessische Weihnachtsspiel

  • Szene 1: S. 902–939, V. 608–647.
  • Szene 2: S. 902–939, V. 97–108.
  • Szene 3: S. 902–939, V. 817–820 (erster Ausschnitt), bzw. V. 774–779 (zweiter Ausschnitt).

Zum Weiterlesen:

Geselbracht, Vera: Komik im geistlichen Spiel. Eine Untersuchung der Krämerszene des Innsbrucker und Wiener Osterspiels. Baden-Baden 2017.

Krieger, Dorette: Die mittelalterlichen deutschsprachigen Spiele und Spielszenen des Weihnachtsstoffkreises. Frankfurt a. M., Bern, New York u. Paris 1990 (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur 15).

Koch, Elke: Emotionsforschung. In: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. Hrsg. v. Christiane Ackermann u. Michael Egerding. Berlin u. Boston 2015, S. 67–85.

Ridder, Klaus: Erlösendes Lachen. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. v. Hans Joachim Ziegler. Tübingen 2004, S. 195–206.

Wolf, Gerhard: O, du fröhliche! Zur Komik im Hessischen Weihnachtsspiel. In: Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. v. Werner Röcke u. Helga Neumann. Paderborn u. a. 1999, S. 155–173.

Vogelsang, Klaus: Dona infernalia. Die Teufelsszene des ‘Hessischen Weihnachtsspiels‘ in Neuedition mit kommentierenden Hinweisen. In: Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota. Hrsg. v. Horst Brunner u. Werner Williams-Krapp. Tübingen 2003, S. 233–252.

Unsere Empfehlung für Interessierte :-) Wolf, Gerhard: O, du fröhliche! Zur Komik im Hessischen Weihnachtsspiel. In: Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. v. Werner Röcke u. Helga Neumann. Paderborn u. a. 1999, S. 155–173.


Lea Kaiser, Johann Loroña Ornelas u. Hannah Stößlein

Aufnahme Datum 2023-06-29

Bühne aufs Ohr. Eine Reise durch die geistlichen Spiele des Mittelalters

Ihr kennt doch sicher alle die Weihnachtsgeschichte - sei es jetzt aus der Bibel oder den alljährlichen Krippenspielen, die in der Kirche stattfinden. Aber erinnert ihr euch eigentlich an die Szene, in der zwei Mägde Joseph verprügeln? Oder in die, in der das Christkind in löchrige Hosen gewickelt wird? Gut, die Frage ist gemein. In der offiziellen Weihnachtsgeschichte sind die Szenen nämlich gar nicht vorhanden. Wenn ihr jetzt aber sagt: So ein lustiges Weihnachtsspiel, das wäre ja auch mal was, dann seid ihr hier genau richtig. Die Ausschnitte stammen nämlich aus dem Hessischen Weihnachtsspiel, das wir uns heute anschauen wollen.

Komik und Religion. Das sind eigentlich zwei Dinge, die wir heutzutage nicht miteinander verbinden würden. Deswegen stellt sich die Frage: wie passt das eigentlich zusammen, Komik und Religion? Gibt es sowas wie Humor schon im Mittelalter? Sicherlich eine etwas provokant gestellte Frage, aber wir wollen sie uns trotzdem heute stellen. Und wenn ja, wie sah dieser Humor aus? Erst mal „wir“ - wer ist das? Das bin ich, der Johann. Das ist Lea, die heute mit mir reden wird. Und das ist Hannah, die die Quellenlektüre übernehmen wird.

Wir schauen uns heute dieses Weihnachtsspiel näher an. Wenn euch die Szenen, die wir jetzt zu Beginn genannt haben, etwas komisch vorkommen, dann liegt das daran, dass wir heute ein ganz anderes Verständnis von Religion haben als das früher der Fall gewesen sein mag. Eine ganz zentrale Rolle spielt dabei tatsächlich die Reformation, die sich sehr stark rückbesinnen wollte auf eine gewisse Ernsthaftigkeit und dem Ganzen die unnötigen ‚Showeffekte‘ ein bisschen genommen hat. Damals sah das aber anders aus.

Das damalige Verständnis von Religion ließ Lachen zu. Und vor allem in Passions- und Osterspielen war Lachen gang und gäbe. Es ging hier um das ‚eschatologische Lachen‘, das ist der Fachbegriff für das Osterlachen. Dass Angesichts des Siegs über den Tod eben gelacht werden soll, dass Emotionen hervorgerufen werden sollen. Und auch, dass ein bisschen das Heilige mit dem Alltäglichen - wir müssen bedenken, die Heilsgeschichte war ganz gegenwärtig für das mittelalterliche Publikum - also dass das Heilige mit dem Alltäglichen verbunden werden sollte. Es ging also auch irgendwo darum, mit Inkongruenzen, also mit Unstimmigkeiten, umzugehen. Es ging darum, Brüche in der Erwartungshaltung - oder eben im religiösen Kontext Unbegreifliches verständlich zu machen. Also: Das Lachen spielt durchaus eine Rolle in Mittelalter. Die Frage, die wir uns jetzt stellen wollen, ist: Wie weit konnte man mit solcher Komik eigentlich gehen? Gab es Grenzen? Diese Frage wirft sich nicht nur uns auf, sondern gab es auch schon im Mittelalter, denn wie wir an der Mägdeszene sehen, die wir oben kurz angerissen haben - das ist diese Szene, in der Jose verprügelt wird - wenn wir die näher anschauen im Original, in der Handschrift, dann stellen wir fest, dass die Überlieferungssituation gar nicht so klar ist, denn sie wurde mal überarbeitet. Es wurden Rausstreichungen gemacht. Vor allem die derben Witze wurden hier rausgenommen und so lässt sich plausibilisieren, dass Überlegungen, ob Humor und Religion vereinbar sind, vielleicht auch schon im Weihnachtsspiel stattgefunden haben.

Bevor wir jetzt aber loslegen können, gibt es noch mal einen kleinen Disclaimer für euch. Weil nicht alles, was uns bei der heutigen Rezeption des Weihnachtsspiels vielleicht komisch oder lustig vorkommt, war damals auch lustig gemeint. Humor ist schließlich eine ganz individuelle Sache. Das merkt ihr vielleicht, wenn ihr euch mit euren Großeltern unterhaltet - die verstehen ja auch nicht alles, was ihr lustig findet und umgekehrt. Und euch trennen jetzt nur ein paar Generationen. Da kann man sich vielleicht auch vorstellen, wie das jetzt erst bei mittelalterlichen Texten gewesen sein muss.

Also die individuelle Seite von Emotionen von Humor. Aber auch, das kann man auch sagen, eine kulturelle Prägung von Emotionen. Bei der Erforschung von Emotionen stellt man nämlich schnell fest: Es gibt so etwas wie anthropologisch universelle Emotionen, aber auch ganz viel kulturell Spezifisches. So hat beispielsweise jede Kultur gewisse sprachliche Emotionsbezeichnungen. Das ist ganz universell. Die gibt es eigentlich immer. Aber welche Emotionen bezeichnet werden, ist teilweise sehr unterschiedlich.

Und gerade deshalb ist es ja auch so wichtig zu verstehen, dass das mittelalterliche Verständnis von Humor ein ganz anderes gewesen sein mag. Schlüssel zum Verständnis der Texte sind hier sogenannte Codes, also kulturelle Kontexte oder Redetraditionen. Und deshalb gehört es sich auch, dass wir das hessische Weihnachtsspiel erstmal einordnen, bevor wir mit euch in den Text gehen. Das Hessische Weihnachtsspiel ist als solches eigentlich relativ selten. Denn Weihnachtsspiele, die ausschließlich das Weihnachtsgeschehen thematisieren, kamen tatsächlich gar nicht so oft vor. Das wurde eher in die größeren Oster- oder Pfingstaufführungen integriert. Auch weil natürlich im Winter das Wetter eine ganz zentrale Hürde war. Das ist eine Sache, an die denkt man heute gar nicht so. Aber die Aufführungen fanden ja auch zum Teil draußen statt. Und da ist Regen oder Schnee natürlich eine Katastrophe. Deshalb lieber zu Ostern. Es gibt sowohl stark gelehrt-theologische Spiele als auch solche, die Volksbräuche mit einbeziehen, und wenn ihr an die lustigen Szenen vom Anfang denkt, dann könnt ihr euch vielleicht schon denken, dass unser Weihnachtsspiel hier zu den letzteren gehört. Das Hessische Weihnachtsspiel entstammt, wie der Name sagt, aus dem hessischen Raum, dem Spätmittelalter, um genau zu sein der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Und was auch noch später ganz interessant sein wird, ist, dass der Schreiber vermutlich aus dem Klerus stammt. Es wird vermutet, dass das ein Mönch geschrieben hat.

Wir haben einige Szene mitgebracht, die euch einfach ein bisschen zeigen sollen, dass die Bandbreite an Humor, die so im hessischen Weihnachtsspiel anzutreffen ist, ganz groß ist. Also wir haben eher derbe Witze dabei; wir haben aber auch durchaus nuancierte Komik, die vielleicht etwas Hintergrundwissen braucht. Wir wollen dabei auch bedenken und diskutieren, welchen Sinn eine Einbindung von Humor allgemein in ein geistiges Spiel haben kann. Ihr müsst euch dabei nicht wundern, wenn ihr euch im Nachhinein noch mit dem hessischen Weihnachtsspiel beschäftigen wollt, dass nicht alles, was wir hier darstellen, ganz handlungschronologisch sortiert ist. Wie gesagt, wir haben uns vor allem an der Menge an Hintergrundwissen, die eben benötigt wird, um den Humor zu verstehen, orientiert. Das heißt, wir werden mit dem wenigsten an nötigem Hintergrundwissen beginnen und steigern uns dann zunehmend in den drei Szenen, die wir heute vorstellen wollen.

Die erste Szene, die wir euch dabei mitgebracht haben, ist die sogenannte Mägdeszene. Die haben wir auch in unserem Intro schon so ein bisschen angerissen. Da geht es darum: Das Jesuskind ist schon auf der Welt und Joseph kommandiert jetzt ein paar Mägde herum, ihm mit dem Ganzen zu helfen. Die zwei lassen sich das aber nicht so gefallen und werden letzten Endes sogar handgreiflich.

Maria respondit: 
Ioseph, lieber phleger myn! 
Deyn stete dem kindelin: 
Es wirt der geben zu lone 
In dem hymmel die ewige crone! 
Auch heiß es stillen der meit eyne, 
das kindelin, das es nicht weyne! 

Ioseph dicit: 
Hille! Hille! Hillegart!

Et illa respondit: 
Hie saltu des kindes wartin!
Ich zihe dich andirß by der swart! 
Hillegart respondit: 
Ach du aldir grauer bart!
Es wirt dir nicht lenger gespar[t]: 
Du meynst, du mich wollest reuffen?
Das moestu alzu duer keuffen!
Du magest mich licht erbitten: 
Ich und myn gespel Gute 
Wullen unß ober dich machen 
Und willen dir stuern das lachen! 

Ioseph respondit: 
Ich sage dir, Gutte und Hilgart: 
Wolt er nicht des kindes wart, 
szo kann mirs nymmant erwern: 
ich wel uch die lenden smern!

Gutte respondit: 
Czeter ubir ungluck! 
Mir ist myn rucke 
Von unschlut alßo wol zuschlagen, 
das ich es nicht wes wem zu clagen! 
Dach Hilgart unnd Gute, 
ich wel uch fruntlichen bitten: 
losset es alß ligen, 
ich will es gern verswigen! 
Er sollet bliben von mir ungeschollen: 
Er habet mir woi vorgullen! 
Ich will es gern losßen sin 
Uber eyn! Mach dem kinde eyn brij!

Die Mägde, Hillegart und Gutte, waren alles andere als begeistert von Joseph in dieser Szene. Er kriegt ganz schön auf die Mütze und ist danach schon etwas kleinlauter. Die Szene hört an der Stelle aber noch nicht auf: Die beiden Mägde geraten in Streit und werfen sich alle möglichen Unsittlichkeiten an den Kopf. Jetzt frage ich mich, was hat so etwas denn in einem Weihnachtsspiel verloren?
Der eher derbe Humor ist für uns ganz verständlich. Interessant ist hier, dass ganz klar der Kontrast zwischen dem Heiligen und dem Alltäglichen, dem fast schon Profanen dargestellt wird. Das muss dabei keinen Widerspruch dargestellt haben. Denn es geht neben dem Unterhaltungsfaktor, der immer bei solchen humorgeladenen Szenen bedacht werden muss, auch darum, die menschliche Unzulänglichkeit zu thematisieren. Also darum, im  Heilsgeschehen das Alltägliche einen Platz finden zu lassen. Interessant ist hierbei auch, dass Joseph häufig der Ansatzpunkt für Komik im Spätmittelalter ist. Was es damit auf sich hat, darauf werden wir vielleicht nochmal zurückkommen.

Das stimmt, Joseph musste hier schon ganz schön einstecken. Und in der nächsten Szene ergeht es ihm auch nicht so viel besser. Die kennt ihr aber schon, das ist die Herbergssuche, in der Joseph mit der hochschwangeren Maria nach einer Unterkunft sucht und den Wirt um einen Platz für die Jungfrau bittet.

Iospeh dicit ad Anroldum: 
Herr wirt, got gebe uch eynnen guten tagk, 
und helff uns, der do wol gehelffen magk!
Ich bitte uch dorch den willen syn, 
das ir mich herberget mit der iungfrauwen myn!

Arnoldus dicit: 
Wol hin, du aldir pultener! 
Ich will anderß dir dy lenden smeren!
Du sprichst, se sy eyn mait zart, 
und se wirt eyn kint han uff der fart? 
Wie darstn alßo ligen 
Und wilt dye werlt betrigen? 
Ich will uch herbergin keyne nacht: 
Daß hot dyn logenhafftiger munt gemacht! 

Josephs naive Frage ist an der Stelle schon ziemlich lustig und der Wirt lässt sich das natürlich nicht gefallen, eine Jungfrau unterzubringen, die eindeutig schon im neunten Monat schwanger ist. Der meint, man will ihn hier übers Ohr ziehen. Und deshalb wird Joseph schon wieder ganz schön beschimpft und verjagt. Aber lachen wir jetzt Joseph aus? Oder was ist der Sinn und Zweck dieser Szene?

Auch über Joseph lachen wir sicherlich. Es lohnt sich schon, ein bisschen näher hinzuschauen. Denn wenn wir bedenken, dass der Wirt hier der Unwissende ist, dann lachen wir vielleicht auch ein bisschen über die Unwissenheit des Wirtes, denn wir müssen davon ausgehen, dass die Jungfräulichkeit Marias im Mittelalter natürlich ganz gegeben ist. Das Publikum weiß darum, der Wirt aber nicht. Und so lachen wir vielleicht als ‚Ingroup‘ eben auch über die Unwissenheit der ‚Outgroup‘, die nicht um die Jungfräulichkeit weiß. Auch hier steckt ein gewisses Hintergrundwissen schon in dieser Komik. Es geht darum, Gemeinschaft zu schaffen über Ausgrenzung. Was uns vielleicht heute auch noch ganz bekannt vorkommt.

Das ist wahrscheinlich ziemlich gemein, aber wohl auch ganz schön effektiv, hier ein gewisses Gemeinschaftsgefühl aufzubauen.

Unsere dritte Szene wird euch wieder unbekannt vorkommen. Das ist nämlich eine Teufelsszene und die sind in Weihnachtsspielen sehr selten. Die kommen oft eher in Spielen vor, in denen auch das Ostergeschehen auf die Bühne gebracht wird. Aber das hessische Weihnachtsspiel hat eine Teufelsszene. Und ich würde sagen, die schauen wir uns gleich mal an.

Luciper dicit: 
Krentzelin, habe dir zu lone 
Schaufflorbern und zegenbonen! 
Belial uund Machedantz, habet uch allermeinst, 
das eyn alde nunne vor der metten scheuß! 

Was ist jetzt hier passiert? Die Szene handelt von Lucifer, oder hier Luciper, der mit seinen Schergen – den niederen Teufeln – spricht und ihnen Belohnungen verspricht. Die Frage ist aber, was sind das für Belohnungen? Hier leisten wir, würde ich sagen, mal ein bisschen Übersetzungshilfe, bei „Schaufflorbern“ und „zegenbonen“ handelt es sich ähnlich wie im Fall von der erwähnten Nonne, um die Exkremente, was kein wahnsinnig tolles Geschenk ist. Gleichzeitig haben wir euch ja eine steigende Nuance versprochen in den Szenen, die wir rausgesucht haben, das hier ist aber ziemlicher Fäkalhumor. Warum haben wir uns dafür entschieden?

Der Fäkalhumor ist natürlich eindeutig, welchen wir auch heute noch gut verstehen. Aber wir sollten trotzdem noch mal näher hinschauen. Warum schenkt Lucifer hier seinen Schergen denn Fäkalien? Sind sie da glücklich drüber? Hierzu müssen wir etwas tiefer in theologische Überlegungen eintreten. Denn es ist so: Im Mittelalter wird die Welt der Hölle, die Welt der Teufel, als verkehrte Welt, im Vergleich zu dem, was wir heute und auch die Menschen damals als wertvoll angesehen haben, gesehen. Es ist nämlich so, während wir heute und auch damals Fäkalien und Exkremente (obwohl sie z.B. als Dünger durchaus einen ‚Wert‘ haben) generell nicht wertzuschätzen wissen, ist eben das für die Teufel das Erstrebenswerteste. Außerdem ist interessant, dass hier eine Nonne angesprochen wird. Damit wir aber hier die Komik näher verstehen, sollten wir vielleicht die nächste Szene gleich mal anschauen.

Luciper respondit: 
Habe danck, Beelczebuck! 
Ich will dir gebin eynen ucl 
Von eyner egelßhute gemacht, 
der ist der gut und geschlacht! 
Och gebe ich der eyn selegereht: 
Der monche leckebreth! 

Was verspricht Lucifer hier seinem Teufel? Er gibt sogar vor, dass es ihm um das „selegereht“, also das Seelenheil des Teufels gehen würde. Und da rettet ihn der „monche leckebreth“. Hier ist die Forschungsmeinung ein bisschen gespalten, was die richtige Übersetzung betrifft. Es wird vermutet, dass es die Zunge der Mönche sein könnte. Gleichzeitig mag „leckebreth“ aber auch ein Sitzbrett bezeichnen. Hier wird also ganz schön gegen Mönche und Nonnen gestichelt, von dem, was ich jetzt hier so vernehme. Aber ich dachte, der Verfasser wäre selbst ein Mönch?
Davon muss man ausgehen. Es ist aber gerade dann so, wenn wir vielleicht selbst ein bisschen ironisch sind und zu Selbstironie begabt sind – dann können wir auch solche Witze über uns selbst beziehungsweise über den eigenen Stand machen. Und hier ist eben auch Standeskritik aus dem Stand heraus geschehen. Wir haben hier einen ganz klar antiklerikalen Charakter des Humors. Es geht darum, eben Kritik an der Geistlichkeit zu üben. Und es ist wahrscheinlich so, dass diese Kritik, die hier geäußert wird, zwar für uns etwas schleierhaft erscheint, damals im Mittelalter aber sicherlich jedem ganz evident war, denn es muss sich hier um etwas gehandelt haben, um ein Vergehen, das zum einen groß genug war, um es zu bestrafen, und zum anderen weitläufig genug, dass auch das Publikum es ganz klar verstanden hat. Interessant ist hierbei, dass wir uns im Spätmittelalter befinden. Ihr wisst vielleicht selber noch aus eurem Geschichtsunterricht: Das Spätmittelalter ist eine Zeit der Kirchenkrise. Wir sind am Vorabend der Reformation. Es gibt schon einige Missstände in der Kirche. Und solche werden hier ganz klar thematisiert.

Auf jeden Fall interessant, dass auch so viel Ironie in einem solchen Stück stecken kann. Was ich mich jetzt aber immer noch Frage: Warum ausgerechnet im Weihnachtsstück? Wir haben ja schon gesagt, dass das für das Osterlachen sehr wichtig ist in den Passionsspielen, also den Osterspielen, Humor zu integrieren. Aber für mich und sicher auch für viele von euch ist Weihnachten erstmal was ganz Stilles und Andächtiges. Wie passt das zusammen?

Du hast da den springenden Punkt auch schon angesprochen. Es geht eben ähnlich wie beim Osterlachen darum, den Sieg des Heiligen, die Auferstehung Jesu – also etwas Freudiges – mit freudigen Gefühlen, mit Lachen zu verbinden. Es geht also darum, das Positive schon im Weihnachtsstück zu sehen. Also erst durch die Ankunft Christi, erst durch die Geburt, wird eben das, was dann an Ostern gefeiert wird, möglich. Wenn man das so bedenkt, dann steckt das Lachen hier, auch schon im Weihnachtsstück ganz klar drinnen. Und es ist also eine Art Vorgriff auf das, was dann an Ostern geschehen wird. Außerdem kann man sagen: Lachen im Weihnachtsspiel, beziehungsweise im geistlichen Spiel allgemein, hat auch einfach den Zweck, Unterhaltung zu schaffen. Es geht eben auch darum, das Publikum mitzunehmen, das eben an Witz und Humor interessiert ist. Wie schon gesagt, häufig ist dann auch Joseph der Anschlusspunkt hierfür. Ich denke, es ist auch relativ gut rausgekommen, warum. Joseph ist nämlich im Gegensatz zu Maria und Jesus, vielleicht weniger der ‚sehr-Verehrte‘, der ‚zu-Heilige‘ sozusagen, um über ihn Witze zu machen, über ihn kann man eben doch Witze machen. Deswegen auch häufig Joseph im Spätmittelalter. Und wie wir an Szene 3 gesehen haben: Es geht auch einfach häufig darum, sich in gesellschaftliche Diskurse einzuschalten. Wir hatten ja schon über Selbstironie gesprochen, es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Verfasser sich zum einen hier positionieren wollte und zum anderen vielleicht auch den Diskurs im Publikum einfach weiter anregen wollte.

Wir sehen also schon: Auch im Mittelalter ist Humor jetzt nicht gleich Humor. Wir müssen sagen, uns hat die Komik im Hessischen Weihnachtsspiel auch erst einmal durchaus überrascht, eben, weil sie so eine ganz andere Perspektive auf das Mittelalter eröffnet, als im Allgemeinen Denken ja oft verankert ist. Und da fragt man sich auch, ob so eine Einbindung von Humor in den Gottesdienst auch heute vielleicht mal wieder eine Chance wäre und das Ganze vielleicht sogar bereichern könnte.

Wir leben ja in einer Zeit, in der über die Rolle von Religion, die Rolle der Kirche in der Gesellschaft viel geredet wird und wo oft so ein bisschen das Empfinden da ist, dass es zu verstaucht ist, dass es zu engstirnig ist. Da hilft es sicherlich, ein wenig mehr Humor zuzulassen.

Das wäre sicher eine Chance. Dann bedanken wir uns bei euch fürs Zuhören und wünschen noch ganz viel Spaß mit den anderen Podcastfolgen!

Bühne aufs Ohr. Eine Reise durch die geistlichen Spiele des Mittelalters

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Lehrende(r)

Dr. Sandra Hofert

Zugang

Frei

Sprache

Deutsch

Einrichtung

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Produzent

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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